Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz
bereiten, die sinnlosen weglasse.« Sodann erklärte er knapp, in Hiltroff zu ermitteln. Und sich vor allem für die Fabrik zu interessieren.
»Dort geht es ganz schön wild zu, in der Einöde«, meinte Grünberg, »Seemonster, Skelettfunde… Aber was hat das mit der Anlage zu tun? Ein mustergültiger Betrieb. Ich kann mir nicht denken, wo Ihr Problem liegt.«
Lukastik vermied eine Antwort. Er sagte: »Also, wo kann ich Sie treffen?«
»Wenn es denn unbedingt sein muß: im Kunsthistorischen Museum.«
»Ach was?! Ist dort Ihr Büro?«
»Ich habe kein Büro. Ich habe Orte. Einer dieser Orte ist eben die alte Bilderburg.«
Lukastik gab ein knackendes Geräusch von sich, als kaue er an einer gerösteten Libelle, dann sagte er: »Wie in diesem Buch von Thomas Bernhard, Alte Meister .«
»Aha, Sie sind also ein Mann der Bildung, wie schön.«
»Na, ich kann zur Not einem Verdächtigen auch die Finger brechen«, versicherte Lukastik. Und fügte an: »Ich sage das nur, damit Sie mich nicht für einen verweichlichten Intellektuellen halten, über den man sich lustig machen kann.«
»Gut«, äußerte Grünberg, »ich werde auf meine Finger aufpassen. Treffen wir uns morgen im Museum. Sie wissen ja, wann und wo.«
Grünberg legte auf, ohne ein weiteres Wort gesprochen zu haben. Lukastik runzelte die Stirn. Er hatte sich da ein bißchen zu weit aus dem Fenster gelehnt. Nicht zuletzt, indem er das Buch von Thomas Bernhard erwähnt hatte. Denn erstens war es unvernünftig, einem Anwalt gegenüber die eigene Gescheitheit kundzutun. Und zweitens war es um diese Gescheitheit nicht ganz so gut bestellt, wie Lukastik vorgegeben hatte. Auch wenn er vor langer Zeit einmal Alte Meister gelesen hatte und natürlich wußte, daß darin einer dieser gegen die österreichische Weltkrankheit aufbegehrenden Bernhardschen Nörgelvirtuosen unentwegt ins Kunsthistorische Museum marschiert, so konnte sich Lukastik beim besten Willen nicht mehr daran erinnern, um welche genau festgelegte Uhrzeit die Hauptfigur die Gemäldesammlung jeweils aufsucht und vor welchem Bild sie ständig zum Stehen und Sitzen kommt.
Und das hatte Grünberg ja wohl gemeint.
Darum war es notwendig, daß Lukastik, nachdem er Wien erreicht hatte, eine große Buchhandlung anfuhr und zu einigem Erstaunen der Verkäuferin nach den Alten Meistern verlangte. Einen Thomas Bernhard zu kaufen fiel zwischenzeitlich in die Kategorie des Exzentrischen und des Gestrigen. Man wurde dann behandelt wie jemand, der am Mond lebte. Beziehungsweise wie jemand, der noch immer glaubte, daß einst Leute aus Amerika auf diesem Mond gelandet waren. Ja, Thomas Bernhard kaufen, das war wie Äpfel essen, ohne sie vorher zu waschen, oder Schuhe zum Schuster bringen, anstatt sie wegzuschmeißen, oder ein gebrauchtes Fernsehgerät erstehen oder für gutmütige Frauen schwärmen. So war das.
Aber selbstverständlich bekam Lukastik anstandslos den Suhrkamp-Band überreicht, wobei ihn der Umstand unangenehm berührte, daß auch der kleine, rote, schmale Wittgenstein-Tractatus, den er so viele Jahre mit sich getragen und schließlich aus seinem Leben verbannt hatte, ein Suhrkampbuch gewesen war. Was machten diese Suhrkämper? Warum war ihnen das so wichtig, immer diese schwierigen Bücher in die Welt zu setzen? Bücher, die man nur in hysterischem Maße lieben oder in paranoider Form ablehnen konnte. Bücher für Leute, für die Lesen bedeutete, in den Krieg zu ziehen. Mit Hurra oder O weh.
Solcherart mit den Alten Meistern ausgestattet, lenkte Lukastik sein vielbeachtetes Auto – es war, als würde er eine blinde, aber gleichzeitig nackte Frau über die Straße führen – hinüber in den Bezirk Brigittenau, in eine kleine, vollkommen gesichtslose, nicht einmal richtig häßliche Gasse, die den dramatischen Namen Universumstraße trug.
Wenn man sich das Weltall als einen in erster Linie leeren Raum vorstellte, in dem sich nichts an nichts rieb oder bloß unsichtbare Fäden herumschwirrten, deren einzige Aufgabe darin bestand, die Gleichungen der Physiker zu bestätigen, dann war diese konturlose Gasse sicher ein geeigneter Ort, um dem Universum einen zutiefst wienerischen Ausdruck zu verleihen. Das Nichts als Etwas.
Allerdings war es nicht so, daß Lukastik hier lebte. Und selbstverständlich war in der Universumstraße auch keine Dienststelle der Polizei untergebracht. Es gab allein Wohnhäuser, die sich kaum voneinander unterschieden, dazu in einheitlichen Abständen Bäume, die gleich den
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