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Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz

Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz

Titel: Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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durch, aber er stieg aufs Gas. Die Angst um sein Kind verführte ihn dazu, ungewöhnliche Wege einzuschlagen. Eine Giraffe einzustecken und die Polizei anzuschmieren.
    Aber er brauchte auch seine Pausen, vor allem, da er nachts kaum noch schlief. Er ging nach Hause, legte sich aufs Bett und stellte sich ein Glas Fernet auf die nackte, behaarte Brust, um hin und wieder einen Schluck zu nehmen. Der Alkohol beruhigte seinen Körper und betäubte seine Seele. Er schlief ein. Das halbvolle Glas blieb, wo es war, obgleich beide Hände zur Seite rutschten. Olander trieb durch einen von kleinen, beziehungslosen Träumen marmorierten Schlaf, während gleichzeitig ein dickwandiges Fernet-Branca-Glas auf seiner realen, wellenartig sich hebenden und senkenden Brust balancierte.
    Daß das Glas noch immer an der gleichen Stelle stand, als er erwachte, empfand er als ein erfreuliches Omen. Ohne daß ihm bewußt wurde, wie sehr dieser Umstand an jenes vermeintlich gute Zeichen erinnerte, welches darin bestanden hatte, einen vom Tisch rollenden Bleistift aufgefangen zu haben.
    Gott schütze Vinzent Olander vor guten Zeichen!

5
    Es war Abend. Ein roter Abend. Rot pur, frei von Orange, frei von Gelb. Der Sommer hatte die Stadt vollends im Griff. Eine trockene Hitze nahm den Dingen die Luft, allen Dingen. Jede Fläche, ob sie aus Holz oder Metall oder Kunststoff oder Haut bestand, besaß nun die Konsistenz von altem Papier. Er roch auch überall nach diesem Papier. Es roch nach einer Ausgrabung historischer Bücher.
    Olander griff zum Telefon und rief Longhi an, den er fragte: »Und? Haben Sie die Frau gehen lassen?«
    »Warum wollen Sie das wissen?«
    »Weil mich interessiert, ob Sie aufgehört haben, einer falschen Fährte zu folgen.«
    »Wir haben Frau Pero nach Hause geschickt«, erklärte Longhi. »Sie hätte sich schon selbst einer Entführung bezichtigen müssen, um uns einen Grund zu liefern, sie weiter festzuhalten. Hat sie aber nicht. Jetzt ist sie frei, und wir müssen wieder von vorne anfangen. Noch was?«
    Olander durfte sich nicht verraten, indem er weitere Fragen nach Andrea Pero stellte. Also dankte er Longhi und legte auf.
    Er zog sich ein frisches Hemd an, eins von den gestreiften Seidenhemden, dazu einen Anzug von der Farbe alter Heizkörperrippen. Er blieb unrasiert und unfrisiert. Er wirkte solcherart ausgesprochen dekadent. Als sei er auf dem Weg zu einer Koksparty für Filmleute. Aber der Weg, den er vorhatte zu gehen, führte in die entgegengesetzte Richtung. Nicht zu den Reichen, sondern zu den Armen. Weshalb er auch seinen BMW, den er sich aus Wien hatte kommen lassen, in der Garage ließ. Übrigens war die Garage fast so teuer wie das Zimmer, das er gemietet hatte. Das war ein Ausblick auf die Zukunft, wenn die Abstellplätze aller Wagen auf dieser Welt kostspieliger sein würden als die Wohnungen derer, die diese Autos fuhren.
    Olanders unbedingte Konzentration, während er auf der Polizeistation gewesen war, hatte es ihm ermöglicht, nicht nur Andrea Peros Namen, sondern auch das Viertel in Erfahrung zu bringen, in dem sie lebte. Zumindest hatte einer der Beamten die »Bronx« erwähnt. Und in dem kleinen Laden gegenüber von Olanders Wohnung erklärte man ihm nun, daß wenn von der Bronx gesprochen werde, das Quarto Oggiaro gemeint sei, eine Gegend, die im Wettbewerb um die schlimmste europäische Vorortekatastrophe ganz oben rangiere. Der bekannte Mischmasch aus Drogen und Freizeitgewalt, wenn ein Teil der Bewohner sich vor lauter Freizeit nicht mehr zu helfen wußte. Ihnen die Freizeit praktisch aus den Ohren quoll.
    Die Stadtväter hätten um diesen Bezirk gerne einen großen Zaun gebaut. Nicht eine Mauer, Mauer galten als häßlich und unmenschlich. Zäunen aber haftete etwas Gartenarchitektonisches an. Ein Zaun war um so viel eleganter als eine Mauer.
    Die Leute aus dem Gemischtwarenladen – Olander bezog dort seine Branca-Menta-Vorräte – hatten ihm die Adresse der Familie Pero herausgesucht, ihn aber gewarnt, diese auch aufzusuchen. Das sei keine Gegend für einen Mann, der gestreifte Hemden und wertvolle Uhren trage und ein wenig an den seligen Gianni Versace erinnere.
    »Bestellen Sie mir ein Taxi«, ignorierte Olander die Warnung.
    Auch der Taxifahrer war kaum begeistert, trotz der einträglich langen Strecke. Er meinte, es gebe bessere Orte, um einen Sommerabend zu genießen.
    »Ich gehe gerade durch die Hölle«, antwortete Olander, dessen Italienisch sich rasch verbessert, ja perfektioniert

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