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Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz

Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz

Titel: Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Ein Umstand, der jedoch ebenfalls dem Mysterium zugeordnet wurde und als hintergründige Verschwiegenheit Eingeweihter galt. Wie sagte ein Berichterstatter: »Diese Leute wissen etwas.«
    Nun, sie wußten gar nichts. Aber auch dieses Nichts besaß eine beträchtliche Fülle, ein Potential. Das Nichtwissen besaß einen Bauch, nein, eine Wampe.
    Was das Nichts vor allem aber braucht, um ein Etwas zu werden, ist ein Name. Ein namenloses Monster ist keines. Wobei sich selbst in diesem Punkt die Hiltroffer als hartnäckig erwiesen. Es gelang ihnen, das von den Medien ins Spiel gebrachte »Mary« zu unterbinden. Mit dem Namen der Heiligen Mutter Gottes trieb man keinen Schabernack. Statt dessen wurde im Eiltempo ein Wettbewerb unter den Hiltroffer Kindern ausgelobt, an dessen Ende eine vollkommen simple und in der Wissenschaft recht übliche Lösung stand, nämlich das gesichtete Objekt nach seinem Sichter zu benennen. Den Fisch nach dem Fischer. Der Junge, der das zwischenzeitlich berühmte Foto mit einer völlig trocken gebliebenen Unterwasserkamera geschossen hatte, hieß Viktor. Weil nun Seeschlangen einen weiblichen Artikel besitzen, wurde das Wesen aus dem See »Viktoria« getauft. Das war ein außergewöhnlich würdevoller Name, sehr weich vom Klang her, ohne daß jemand den Begriff des Sieges im Kopf hatte. Denn bei aller Begeisterung für dieses Tier wollte ja niemand von ihm besiegt werden. Eher dachte man an die freundlich lächelnde Kronprinzessin von Schweden als an eine altrömische Gottheit.
    Die Presse beugte sich und sprach von nun an von einer Viktoria, nach der man den See absuche. Dieselbe Presse, die eine Beleuchtung des Gewässers während der Nachtzeit beantragte. Was der Bürgermeister ablehnte, und zwar mit dem einzig vernünftigen Argument, man dürfe Viktoria, wenn sie denn existiere, nicht verstören, indem man die Nacht zum Tage mache. Tatsächlich bestand nämlich in der Bevölkerung die Idee, es den Schotten gleichzutun und das hypothetische Tier unter Artenschutz zu stellen. Somit auch die Lebensgewohnheiten Viktorias einigermaßen zu erhalten, wozu eine Nacht gehörte, die auch dunkel war.
    Das Argument, der See sei ohnedies dunkel genug, war typisch Presse.
    Genau in einer solchen somit unbeleuchteten Nacht – und die Nächte dort oben waren schwarz wie ein Planetarium ohne Strom – geschah es nun, daß sich etwas auf dem See ereignete. Das Wasser geriet in Bewegung. Man konnte es deutlich hören. Und natürlich hatten die Fotoleute ihre empfindlichen Apparate aufgestellt, zuzüglich der Nachtsichtgeräte, und natürlich wurden wie wild Bilder geschossen und Videofilme gedreht. Doch der Spuk war rasch vorbei. Das Ergebnis aber beeindruckend, obwohl natürlich auch diesmal die Aufnahmen vom Prinzip der Unschärfe dominiert wurden.
    Viktoria hatte sich gezeigt, zumindest mit ihrem Schädel, der ausgesprochen schlank schien. Das Maul war geschlossen geblieben, der ganze Ausdruck dieses Tiers mutete, trotz tiefer Augenhöhlen, freundlich an. Das war ein wenig enttäuschend, entsprach aber moderner Pädagogik: Monster, die sich als nett erwiesen. Was nichts daran änderte, daß die beinahe eingeschlafene Geschichte neuen Auftrieb erhielt. Jetzt wollte man es wirklich wissen.
    Ein von einer deutschen Fernsehanstalt finanziertes Team von Wissenschaftlern sollte mit einem U-Boot, das über ein modernstes Ortungssystem verfügte, den See absuchen. Wenigstens seine wahre Tiefe und Beschaffenheit feststellen, Bodenproben nehmen und hoffentlich weitere verschwommene Aufnahmen von etwas machen, das dann durch die Köpfe der Betrachter als »wahrhaftige Kreatur« geistern konnte.
    Im Kielwasser dieses U-Boots und dieser dreiköpfigen U-Boot-Mannschaft kamen weitere Schaulustige, die zwar größtenteils vom See ausgesperrt blieben, aber selbigen wandernd umgarnten. Und somit auch Hiltroff frequentierten und hier taten, was die eigentliche Pflicht von Ortsfremden darstellt, nämlich Geld ausgeben.
    Nicht zuletzt das Hotel Hiltroff war Nutznießer dieses Rummels, wenngleich dort kaum ein Journalist nächtigte, sondern Ausflügler sowie der eine oder andere selbsternannte Forscher und Abenteurer. Leute, die versuchten, sich heimlich Zugang zum Wasser zu verschaffen, oder einfach darauf warteten, daß der Troß der Medienleute abzog und der Mariensee wieder an das Volk freigegeben wurde.
    Das POW! war nun Abend für Abend bestens gefüllt. Anders als im Hotel fanden sich hier auch Presseleute ein, die die

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