Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz
Kneipe auf eine ziemlich undefinierbare Weise für schick hielten. Überhaupt fiel auf, wie sehr diese Männer und Frauen aus der schreibenden und kommentierenden Zunft vom Zauber des Undefinierbaren beseelt waren. Darin schien das Wesen ihres Berufs zu bestehen, Dinge nicht sagen zu können. Das aber mit Worten.
Vinzent Olander war alles andere als begeistert von dieser Stürmung des Ortes. Es erschwerte seine Suche nach Clara. Zudem hatte er die Ruhe seines Stammlokals geschätzt, selbst noch das Zusammensein mit den einheimischen Saufköpfen. Aber die Fremden brauchte er nicht. Sie waren laut, sie störten. Er konnte nur beten, daß diese Viktoriascheiße endlich ein Ende fand. Spätestens wenn das U-Boot den nicht allzu großen See absuchen und das Sonar die absolute Leere dieses Gewässers feststellen würde. Oder man endlich den Witzbolden auf die Schliche kam, die dieses ganze Theater provoziert hatten.
Um der abendlichen Enge im POW! auszuweichen, begann Olander jetzt bereits am späteren Vormittag zu trinken. Am Morgen davor tat er jeweils das, was er als seine Suche nach Clara empfand, indem er ganz einfach durch den Ort marschierte und sich in alter Gewohnheit dem Schicksal stellte. Darauf wartete, daß ihn endlich jemand ansprach. Endlich jemand auf ihn zukam und einen Hinweis gab, was mit Clara geschehen war. Manchmal besuchte er auch das Gemeindearchiv und durchstöberte recht unkoordiniert die Geschichte des Ortes. Auch hier auf einen Hinweis hoffend. Im Grunde suchte er das Wort »Mailand«. Aber er fand es nicht.
Gegen zwölf wechselte Olander in seine Stammkneipe, die um diese Zeit noch so gut wie leer war, und begann damit – nach einigen Bieren, die wohl das repräsentierten, was man sich als feste Nahrung vorzustellen hat –, seine übliche Serie aus vier mal zwei Gläsern zu bewerkstelligen. Wenn dann um fünf herum das POW! sich füllte, war Olander betäubt genug, um sich von Grong nach oben bringen zu lassen, ins Bett zu fallen und in einen Schlaf zu finden, dessen Träume längst keine ungnädigen Frauen mehr zuließen. Olanders Träume waren nur noch abstrakte Bilder, nicht einmal Abstraktionen, bloß noch leblose, erstickte Farbe.
Mit einem Mal war der Hiltroffer Sommer vorbei, und es herrschten die alten Verhältnisse. Die dicken Hiltroffer Wolken kamen zurück, als wären sie einmal um die Erdkugel gezogen, nur um festzustellen, daß es woanders auch nicht besser war. Sie setzten sich in der gewohnten, tiefhängenden Weise über dem Land fest und ließen es tagelang regnen. Was einige der Journalisten dazu bewegte, den Heimweg anzutreten, und auch viele der Urlauber vertrieb. Er wurde ruhiger in Hiltroff. Das U-Boot, das an der einzigen günstigen Einstiegsstelle aufgebaut worden war, wurde mit Planen abgedeckt. Möglicherweise gab es auch noch ein paar technische Schwierigkeiten, aber in erster Linie war es sicher so, daß die deutschen Finanziers dieses Unternehmens – es hieß Viktorianer – es sich nicht nehmen lassen wollten, das Eintauchen des U-Bootes bei Schönwetter zu zelebrieren. Auf welches man nun wartete. Die Einheimischen wußten es besser und grinsten verschmitzt.
Auch im POW! nahm die Masse der Besucher wieder ab. Olander hatte sich aber schon so sehr an seine neue Schlafenszeit gewohnt, daß er sein System angepaßt früher Trinkerei beibehielt. Er selbst nannte sich darum einen Neandertaler, in der Annahme, daß selbige zwischen fünf und sechs am Abend in ihre Höhlen gekrochen waren.
Man schrieb die dritte Woche des großen Regens. Olander saß wie üblich in seiner Ecke, das zweite Glas Portwein vor sich, als eine Frau bei der Lokaltüre hereinkam. Olander bemerkte sie zunächst gar nicht. Grong natürlich schon. Und war vom ersten Moment an überzeugt, daß diese Person Schwierigkeiten bereiten würde. Das gibt es. Man sieht jemand und denkt sich: Hat der Teufel geschickt.
Dabei hatte diese Frau nichts Erschreckendes an sich. Mitte Vierzig, aber recht unverwelkt. Mittelgroß, ein bißchen blond. Sie trug eine dieser Hosen mit tausend Bändern und Täschchen, so einen Rucksack von Hose. Ihr Coca-Cola-Shirt hingegen lag eng am Körper. Da war ein wenig Speck um ihre Taille, was aber gut zum Busen paßte, der recht üppig ausfiel und völlige Schlankheit nicht gut vertragen hätte. Man sieht das oft, daß der Busen und der Rest nicht zusammengehen. Wenn Frauen sich ihre Brust vergrößern lassen, müßten sie hernach auch ein wenig zunehmen, das sollte man
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