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Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz

Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz

Titel: Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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sich zwar, wie überall, erstaunt, wenn einmal etwas passierte, aber man war es nicht. Alles was geschah, geschah genau auf die eine mögliche Weise. Das Leben war eine Rechnung. Rechnungen kannten nur ein Ergebnis.
    Wenn man richtig rechnete.
    In den Wochen nach der Lebensrettung des Vinzent Olander wurde eine Veränderung bemerkbar. Es kamen mehr Leute ins POW!. Möglicherweise hielten es die Hiltroffer für ein gutes Zeichen, wenn ein Wirt mit solcher Fürsorge auf einen seiner Gäste achtgab. Grong hingegen schien der Zulauf peinlich zu sein. Das letzte, was er brauchen konnte, war eine allgemeine Erwartungshaltung betreff Lebensrettung. Andererseits mußte er aus wirtschaftlichen Gründen froh sein, daß endlich mehr Kunden sein Lokal aufsuchten. Auch blieben der Respekt und die Distanz, die jedermann gegenüber Job Grong empfand, aufrecht. Er war wie eh und je eine Institution. Nun eine besuchte Institution.
    Es versteht sich, daß Olander seinen reservierten Stammplatz behielt, mußte den Tisch nun aber immer öfters mit anderen Gästen teilen, mit geschwätzigen Menschen, die ihn versuchten auszuhorchen. In erster Linie natürlich wegen seines Wagens, dessen Zukunft und Schicksal den männlichen Bürgern wie kaum etwas am Herzen lag. Wenn man sich anderswo um gestrandete Wale kümmerte, kümmerte man sich hier um einen gestrandeten BMW. Olander wiederum begann seinerseits Fragen zu stellen, Fragen nach den hiesigen Familien, vor allem den Honoratioren des Ortes, die noch immer das POW! mieden, Fragen auch nach dem Mann, der Götz war und der einem reinweißen Kubus in ungewöhnlicher Lage seinen Namen lieh. Nicht, daß die Fragen wirklich auf einen entscheidenden Punkt zielten. Olander wußte ja nicht, wonach er eigentlich suchte. Außer natürlich nach Clara, worüber er aber weiterhin kein Wort verlor. Es blieb ein Geheimnis zwischen ihm und Grong.
    Ein Geheimnis, das auch Grong hütete. Selbst seine Frau erfuhr nichts von dieser Geschichte. Eine Geschichte, die Grong gerne aus seinem Gedächtnis gestrichen hätte. Was ihm aber nicht gelang. Die Geschichte war eine Infektion. Grong hatte sich mit ihr angesteckt, auch wenn er gegenüber Olander so tat, als wäre das Ganze für ihn erledigt. Als glaube er kein Wort davon.
    Job Grong mochte die Siebzig bereits hinter sich haben, aber er war nicht nur ein Mensch im Vollbesitz seiner körperlichen Kräfte, sondern auch geistig überaus beweglich. Zudem jemand, der einen Computer besaß, einen Anschluß an das Internet, eine E-Mail-Adresse, und der all dies zu bedienen wußte, ohne deshalb auf seinen Schlaf verzichten zu müssen. Menschen, die sich von ihren Computern den Schlaf rauben ließen, fanden sich alsbald in einem Zustand der Hypnose wieder. Und die Frage war, wer sie da eigentlich hypnotisierte.
    Job Grong setzte sich stets ausgeschlafen an sein Gerät, wenn er in das Wissen der Welt eindrang. Er tat dies in der Art eines Pathologen, der einen verunfallten, in große Unordnung geratenen Körper seziert. Etwa auf der Suche nach einer Milz, die überall sein konnte, nur nicht dort, wo sie hingehörte. Der Mensch im Internet benötigt somit weniger eine Kenntnis der Anatomie, als einen sechsten Sinn und ein goldenes Händchen.
    Ein solches goldenes Händchen besaß Grong und hatte recht bald eine Telefonnummer eruiert, die ihn in die Mailänder Scala führte. Grong sprach kein Italienisch, und es kostete ihn einige Mühe, bis er Frau Perrotti am Hörer hatte, welche über ein ganz passables Deutsch verfügte, allerdings höchst ungehalten wurde, als der Name Olander fiel.
    »Was geht Sie das an?« fragte sie. »Wer sind Sie überhaupt?«
    »Ein Freund Ihres Mannes«, antwortete Grong, obwohl er sich keinesfalls als solcher empfand. Aber was hätte er sagen sollen? Der Wirt Ihres Mannes? Der Hotelier Ihres Mannes?
    »Wenn Sie sein Freund sind«, meinte Yasmina, »dann bringen Sie ihn in eine Klinik.«
    »Wieso?« fragte Grong. »Weil er nach seinem Kind sucht?«
    »Weil es kein Kind gibt«, antwortete die Frau.
    Grong wußte eine Weile nicht, was er sagen sollte. Er hatte mit einer Überraschung gerechnet, mit einer kleinen, aber nicht mit einer großen. Nachdem er sich gefangen hatte, fragte er: »Wie soll ich das verstehen?«
    »Habe ich das nicht deutlich gesagt? Kein Kind.«
    Grong erzählte kurz von der Geschichte, die ihm Olander berichtet hatte, dem Unfall, dem Verschwinden Claras.
    »Ja«, stöhnte Yasmina Perrotti, »alles ein Hirngespinst. Immer

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