Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz
gemeint«, sagte die Frau. Und, als wäre kein Moment günstiger: »Mein Name ist Marlies, Marlies Herstal.«
»Vinzent Olander.«
»Ich denke, ich hätte noch Lust auf einen Pernod«, meinte Marlies.
Olander gab Grong ein Zeichen, welches sowohl den Pernod als auch ein erstes Glas Quittenschnaps betraf. Und an Marlies gerichtet: »Ich trinke auch noch ein bißchen was.«
Als die frischen Gläser serviert und erste Schlucke getan waren, wollte Olander wissen, wie er sich das nun vorzustellen habe. Konnte man denn ernsthaft die Existenz eines Wesens annehmen, welches im Mariensee lebte? Einer Viktoria?
»Wie ernsthaft wollen Sie es denn?« erkundigte sich Marlies. Und wurde dann auch wirklich ernst. »Als Wissenschaftlerin bin ich verpflichtet, mich an die Fakten zu halten. An das, was ich sehe. Darum gehe ich ja mit dem Boot nach unten, um dort etwas zu finden, was in der Folge ein Faktum darstellt. Eine bislang unbekannte Lebensform. Oder eine bestens bekannte, die wir für ausgestorben hielten.«
»Gott, was denn? Einen Plesiosaurus?«
»Eher nicht. Außer man denkt sich eine ziemlich schräge Mutation. Wenn man weiß, wie der See so ist. Zumindest der Teil, den wir schon kennen.«
»Was glauben Sie denn zu entdecken? Ein Paradies unterhalb der Öde von Wasser, das nichts anderes als kalt und schwarz ist. Oben ein Keller und darunter das helle Wohnzimmer.«
»Das ist genau die Frage. Wie sieht dieser See wirklich aus? Ich will jetzt gar nicht spekulieren über Höhlen und tiefgelegene warme Quellen. Sie haben mich einfach nicht verstanden. Ich gehe da runter, weil einer das tun muß, damit die anderen nicht blöd bleiben. Wenn ich glaube, etwas zu finden, dann darum, weil ich immer etwas finde. Schon als Kind. Ich habe als Sechsjährige einen Käfer entdeckt. Mein Vater war Zoologe. Er hat festgestellt, daß niemand diesen Käfer kannte. Fünf Zentimeter groß, ein Muster aus zwei sich zugewandten Dreien, also eine gespaltene Acht. Eine rote Acht auf rotem Hintergrund.«
»Ein Feuerwehrauto«, phantasierte Olander.
»Wenn Sie so wollen. Jedenfalls hat mein Vater ihn nach mir benannt. Man trifft ihn aber kaum an. Ein scheuer Käfer, dessen präzise Einordnung noch immer aussteht. Seither stoße ich unentwegt auf solche Sachen. Gut, es gibt auch wirklich genügend aufzustöbern, sehr viel mehr, als der Laie sich das in einer angeblich erforschten Welt vorstellt. Wenn ich also glaube, etwas zu entdecken, dann weil ich weiß, daß überall etwas zu finden ist.«
»Ein mutierter Plesiosaurus ist was anderes als so ein Käfertier«, gab Olander zu bedenken.
»Das stimmt. Vom Standpunkt des Plesiosaurus wie vom Standpunkt des Käfers.«
»Und Ihr Standpunkt, Marlies?«
»Vor lauter Plesiosaurier die Käfer nicht zu übersehen.«
»Das ist jetzt wohl symbolisch gemeint.«
»Sie sind aber ziemlich klug«, fand Marlies Herstal.
»Ich bemühe mich«, sagte Olander mit einem fröhlichen Gesicht. Es war lange her, daß er sich so gut gefühlt hatte. Wobei er allerdings gleichzeitig dachte, daß dies nur ein schlechtes Zeichen sein könne. Als fange er einen Bleistift auf.
Es war jedoch ein anderes Zeichen, welches anzukündigen schien, was sich später ereignen sollte. Und es war Frau Grong, die es als erste wahrnahm.
Wie seit jeher erledigte sie selbst die Reinigung der Hotelzimmer. Bloß unterstützt von einer Frau aus dem Ort, die nie ein Wort sprach, vielleicht auch, weil sie die hiesige Sprache nicht beherrschte. Einige aber meinten, sie sei schlichtweg stumm. Sie wurde, ihrer wasserstoffgebleichten Haare und des ein wenig dunklen Teints wegen, für eine Rumänin oder Bulgarin gehalten. Und zudem für ein bißchen schwachsinnig. Sicher aber nicht von Frau Grong.
Die beiden Frauen waren gerade damit beschäftigt, das Zimmer eines Mannes zu säubern, der überall im Raum Steine aus der Umgebung des Sees aufgelegt hatte, als Lisbeth Grong die kleine Pfütze im Bad bemerkte. Eine Pfütze im Bad ist natürlich nicht gerade eine Sensation. Und auf Fliesen auch kein Unglück. Der Umstand verstörte Frau Grong nur darum, weil die Duschwanne und das Waschbecken völlig trocken waren und die Toilette zu weit entfernt lag, als daß es sich damit hätte erklären lassen. Frau Grong konnte nur hoffen, daß nicht irgendeine lecke Leitung sich solcherart offenbarte. Sie trocknete die Stelle auf und war zufrieden zu sehen, daß kein neues Wasser nachkam. Allerdings wurde sie am selben Nachmittag, in dem kleinen
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