Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz
handle sich in Wirklichkeit um einen schwimmenden Zirkuselefanten. Sodaß also Aberglaube und Aufklärung sich dort kreuzten, wo alles Leben war: im Komischen.
Von einem Zirkuselefanten war nun im Falle der Erscheinung aus dem Mariensee nicht auszugehen. Und schon gar nicht von Ottern und Stören, wenn man das Fehlen von Leben in diesem schwarzen Gewässer bedachte. Zumindest von auffälligem Leben. Somit mußte man eine Fälschung annehmen. Und wie selbstverständlich haftete der Aufnahme der typische Charakter solcher Dokumente an: ihre Unschärfe.
Aber das schien die Leute nicht abzuhalten. Man wollte sich das Wunder nicht nehmen lassen. Die Einheimischen waren rasch von einer großen Begeisterung für das Mysterium erfüllt und erklärten die geringe Qualität des Bildes damit, daß ja noch Nebel über dem See gehangen hat. Zudem war eine Wegwerfkamera, von einem erregten Dreizehnjährigen bedient, nicht das richtige Gerät zur präzisen Wiedergabe eines fünfzig Meter entfernten Objekts. Ein Ungeheuer, so die Leute, war nun mal kein Landtagsabgeordneter, der sich willig lächelnd vor gut postierte Zeitungsfotografen stellte. Wer etwa versuchte, eine stinknormale Hausmaus aufzunehmen, würde ähnliche Schwierigkeiten damit haben wie bei einem Wesen, das tief im See lebte und eine natürliche und sinnvolle Vorsicht pflegte. Nicht alle Tiere waren wie Delphine. Nicht alle Tiere waren wie Elefanten, die man in einen Zirkus zwingen konnte.
Gerade die Unschärfe erschien den Leuten als Beweis für die Authentizität des Bildes. Eine kleine Hysterie ging um. Und aus der kleinen wurde eine große. Aus der lokalen Erregung eine überregionale. Eine große österreichische Tageszeitung brachte das Foto, später auch eine ähnlich dem Boulevard verpflichtete in Deutschland. Erste Journalisten trafen in Hiltroff ein, machten sich breit, wurden aber von den selbstbewußten Einheimischen in die Schranken gewiesen. Was die Journalisten, vor allem die aus Deutschland, einigermaßen erstaunte. Sie waren devote, sich vollkommen in die Berichterstattung fügende Menschen gewohnt, nicht jedoch Leute, die zwar die Aufmerksamkeit genossen, aber nicht bereit waren, als Clowns zu fungieren. Etwa Trachten zu tragen, wo es doch in Hiltroff noch nie Trachten gegeben hatte. Selbst der Bürgermeister zeigte sich weise und sperrte den See, bevor dort eine Zeltstadt von Neugierigen errichtet werden konnte. Wer an den See wollte, benötigte eine Genehmigung. Das war nicht unklug. Das steigerte den Wert. Die Menschen blieben auf Distanz zum Geheimnis. Man sah den See nicht, man spürte ihn. Er glühte in der Ferne.
Freilich war es unmöglich, die Medien ihrer Funktion zu entheben, weshalb dann doch diverse Kamera- und Filmteams an den See gelassen wurden, dort ihre Geräte installierten und mit großem Fleiß die Landschaft fotografierten. – Man kennt das von den massenhaften Bildern des Loch Ness. Auch die leere, glatte Wasseroberfläche hat ihren Reiz. Eine pochende Leere. Ein Vakuum, aber voll.
Selbst Magazine wie der Spiegel berichteten, und GEO nahm die Geschichte zum Anlaß, über die Historie solcher Erscheinungen zu schreiben, über die religiöse Implikation und das »notwendige Wunder« in Zeiten einer zur wissenschaftlichen Sicht verdammten Gesellschaft. Überhaupt wurde der Mariensee ganz grundsätzlich als ein höchst mysteriöses Gewässer in den Blickpunkt einer großen Öffentlichkeit gestellt. Wasseranalysen tauchten auf, die von einer ungewöhnlichen Zusammensetzung sprachen. Das Gerücht ging um, es seien radioaktive Isotope des Edelgases Krypton festgestellt worden (Krypton? Hieß so nicht der Planet, von dem Superman stammte? Für nicht wenige Menschen war Superman mindestens so real wie ein Edelgas mit der Ordnungszahl 36). Auch machten divergierende Angaben über die Tiefe und Bodengestaltung die Runde. Überhaupt wurden alte Geschichten ausgegraben. Ein Bibliothekar in Linz verwies auf eine Illustration aus dem achtzehnten Jahrhundert, ein Bildnis des »Schwarzen Sees zu Hiltroff«, auf dem man ein schlangenartiges Seeungeheuer mit dramatisch geöffnetem, spitzzahnigem Maul erkennen konnte, welches von einem französischen Reisenden beschrieben worden war. Woraus sich jedoch nie eine Volkslegende oder ähnliches entwickelt hatte. Niemand von den Hiltroffern konnte sich erinnern, eine derartige Geschichte erzählt bekommen zu haben. Selbst die hiesigen Urgroßmütter schüttelten auf Journalistenfragen ihre Köpfe.
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