Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz
hatte erreichen können. Es fehlten also Zeichen einer Beschwerung des Körpers. Das gab zu denken. Freilich war nicht auszuschließen, daß die sofortige Bergung durch die Viktorianer ein Fehler gewesen war. Daß man etwas verloren oder übersehen hatte und daß man bei dem nachfolgenden Tauchgang an eine falsche Stelle gelangt war. Zudem: Seile lösten sich auf wie Fleisch. Und Steine zum Beschweren waren auch nur Steine, die sich dort unten, zwischen anderen Steinen, nicht so schnell verrieten.
Was sich freilich sehr wohl verrät, das ist Metall, welches in der Markhöhle eines menschlichen Knochens einsitzt. Ein solches Metall, genauer gesagt einen medizinischen Nagel zur Knochenbruchbehandlung, fand man im linken Schienbein des Skeletts. Das Implantat aus Titan war von mehreren Schrauben fixiert und eine vollständige Heilung des Knochen erkennbar. Man konnte also annehmen, daß eine baldige Entfernung des eingenisteten Objekts angestanden hätte. Für die Ermittler freilich war es ein großes Glück, daß der Nagel noch im Knochen steckte, ein gewissermaßen beschrifteter Nagel. In die Oberfläche war eine Folge von Zahlen und Buchstaben eingestanzt, deren Sinn sich aber zunächst auch den Spezialisten nicht erschloß. Und zwar darum, weil man davon ausging, daß die Operation in einem Krankenhaus des Inlands durchgeführt worden war. Wie man ja auch davon ausgegangen war, bei der Leiche handle es sich um eine Person, die wenn nicht aus Hiltroff – wo man offiziell niemand vermißte –, so doch aus der Umgebung stammte. Aber wie sich herausstellen sollte, war die Kennzeichnung des Metalls im Ausland vorgenommen worden. Ein Teil des Codes ließ sich als Hinweis auf das Spital entschlüsseln, in welchem der Eingriff erfolgt war, der Rest bezeichnete wohl die Patientin selbst.
Als man dann endlich das Krankenhaus eruiert hatte, stieß man zwar auf ein Computermodell, welches im Vorfeld der Operation erstellt worden war und dazu gedient hatte, das Verhältnis des Nagels zu seinem Wirtsknochen zu testen, aber im Zuge irgendeiner Schlamperei war der Name der Patientin verlorengegangen. Und keine Bemühung fruchtete, ihn wieder zu finden.
Daß solche Schlampereien ganz typisch für dieses bestimmte Ausland waren, wurde von der Presse nicht offen ausgesprochen, aber unterschwellig klang durchaus an, daß die Verhältnisse in einigen der italienischen Spitäler katastrophal seien. Denn eines war ja nun sicher, daß die Implantation des Knochennagels in einer Mailänder Klinik erfolgt war.
Es kann gesagt werden, daß man so gut wie alles über dieses behandelte Schienbein wußte, nichts aber über die Frau, der es einst gehört hatte. Ein Schienbein, das sich in diesem Moment im Besitz der österreichischen Polizei befand, die zusammen mit den italienischen Kollegen versuchte, die Identität der Toten aus dem See zu lüften.
Zunächst drängte sich die Frage auf, ob es denkbar war, daß eine aus Hiltroff oder der Umgebung stammende Frau nach Italien gereist war, um sich dort operieren zu lassen. Wieso? Weil dort die Nägel besser waren? Quasi statt des Shoppings. Nein, eher vermutete man, daß es sich bei der Person um eine Italienerin gehandelt hatte, die aus irgendeinem Grund nach Hiltroff gekommen war. Und die hier einem Verbrechen zum Opfer gefallen war, ohne daß man ihr Verschwinden bemerkt hatte.
Oder hatte man das durchaus?
Wenn zu Beginn der noch recht fröhlichen Geschichte vom Ungeheuer vom Mariensee die Presse gemeint hatte, die Leute, also die Hiltroffer, würden etwas wissen, es aber verschweigen, so wurde das im neuen Fall mit noch größerer Überzeugung angenommen. Zum verständlichen Ärger der Hiltroffer, die jetzt um die Journaille einen großen Bogen machten.
Keinen Bogen freilich konnte man um die Polizei machen, die in Hiltroff einfiel. Beamte aus der Bundeshauptstadt, Spezialisten, Leute, die ein Skelett zu interpretieren verstanden. Und die einen Mörder suchten, praktisch als Ersatz dafür, nicht wirklich beweisen zu können, daß ein Mord überhaupt vorlag. Das war sicher ein vernünftiger Weg, zuerst den Täter zu entlarven, welcher dann die Tat praktisch mitlieferte.
Die Hiltroffer sahen das natürlich anders.
Und Job Grong? Nun, er war zunächst vollkommen verwirrt gewesen. Für ihn war ja mit dem Telefonat, das er mit Olanders Exfrau geführt hatte, die Mailänder Geschichte erledigt und vergessen gewesen. Eine leichte Unruhe hatte ihn erst dann wieder erfüllt, als Tage vor
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