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Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz

Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz

Titel: Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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mitgebrachten Würste auszupacken. Es wurde ein richtiger Grillnachmittag, denn der Regen blieb aus, und die Stimmung war gut. Jeder hier war überzeugt, daß die als Viktorianer bezeichnete dreiköpfige Mannschaft etwas finden würde. Nicht unbedingt einen Saurier oder ein Alien, aber doch etwas Bemerkenswertes. Und da sollten die Leute recht behalten.
    Zunächst einmal muß aber erwähnt werden, daß ein Resultat des Tauchgangs darin bestand, die diversen Tiefenmessungen des Mariensees auf den Kopf zu stellen. Und das, obgleich natürlich luftgestützte Radarmessungen vorlagen. Aber was heißt schon »Luft«, wenn man sich in die umgekehrte Richtung bewegte. Und zwar ganze 280 Meter, was angesichts der relativ geringen Größe des Sees eine sensationelle Tiefe darstellte. Allerdings wurde es nach unten hin weder wärmer noch heller. Jedoch lebendiger. Der tote See erwies sich an seinem unteren Ende als bestens bevölkert. Eine Fülle von Kleinstlebewesen bot Nahrung für robuste Weichtiere, Gliederfüßer und Polypen. Auch sollte sich bei der Analyse einiger der gemachten Proben die Existenz einer bislang unbekannten gehäusetragenden Süßwasserschnecke herausstellen, die dem Plankton zugerechnet wurde und bei der es sich wahrscheinlich um eine endemische Art des Mariensees handelte. Ein Plankton war nun sicher kein Seeungeheuer, und dennoch war die Prophezeiung der Biologin Herstal, immer etwas zu finden, in Erfüllung gegangen. Zusätzlich aber auch in einer Weise, die sie weniger erwartet und erhofft hatte. Als nämlich das U-Boot nach der mehrstündigen Expedition wieder auftauchte, befand sich auf einer der Transportflächen, fixiert von den breiten Klemmen der beiden Roboterarme, ein helles, fragiles Objekt. Einer von den Zusehern am Ufer meinte, es handle sich um einen Haufen Knochen.
    Nun, es waren Knochen. Allerdings waren sie weder urzeitlich, noch stammten sie von einem Tier. Die Viktorianer hatten zu ihrem eigenen Entsetzen auf dem Grund des Sees ein Skelett entdeckt. Das Skelett eines Menschen.

9
    Wenn der Mariensee und Hiltroff in den zurückliegenden Wochen Orte der Kryptozoologie gewesen waren, so wurden sie nun zu Orten der Kriminologie. Bei alldem assistierte weiterhin die Presse, die ohne Schwierigkeit vom Plesiosaurus zum Homo sapiens wechselte, somit von der Hoffnung, etwas Lebendes zu entdecken, zur Gewißheit, auf etwas Totes gestoßen zu sein.
    Wie sich dank eingehender Analysen herausstellte, handelte es sich bei dem von jeglichem Fleisch vollkommen gereinigten Skelett um das Überbleibsel eines Körpers, der drei oder vier Jahre zuvor in den Mariensee abgesunken war, und zwar an eine der tiefsten Stellen, wo er einem natürlichen Zersetzungsprozeß ausgeliefert gewesen war. Für diese überaus rasche Auflösung des Gewebes schien in erster Linie ein ausgesprochen gefräßiger Süßwasserwurm verantwortlich zu sein, dessen Vorhandensein im Mariensee die Fachwelt ein weiteres Mal erstaunte. Schnecken, Würmer, Algen, es ging wild zu in dieser Tiefe. Jedenfalls war solch naschhaften Tierchen zu verdanken, daß man nicht eine dieser grauslich aufgequollenen und verfärbten Wasserleichen nach oben geholt hatte, wie sie Raymond Chandler in seiner Geschichte Die Tote im See beschreibt – als das »Ding, das einmal eine Frau gewesen war« –, sondern eben ein reinweißes, von den Strömungen der Tiefe geradezu poliertes und makelloses Knochengerüst, welches man in jedem Schulzimmer hätte aufstellen können. Und dennoch konnten die Journalisten jenen Chandlerschen Titel zitieren und von einer »Toten im See« sprechen. Denn das Skelett verwies auf den Körper einer Frau, einer jungen, am Ende des Wachstums, also etwa zwanzigjährig. Ihre Zähne waren makellos, was natürlich für die Gerichtsmedizin einen Nachteil bedeutete. Wie sie gestorben war, konnte man anhand des Funds nicht rekonstruieren. Aber daß sie gewaltsam aus dem Leben geschieden war, durch eigene oder fremde Hand, davon ging man aus. Und nicht etwa, daß sie beim Nacktbaden in die Mitte des kalten Sees gelangt und dort ertrunken war. Allerdings vermutete man durchaus, daß sie nackt gewesen war. Bei weiteren Tauchgängen, die Marlies Herstal mit einem Polizeibeamten unternahm, wurde nichts gefunden, was auf eine Kleidung schließen ließ, etwa eine für Würmer und Bakterien ungenießbare Gürtelschnalle, wobei solche Dinge natürlich auch im Sand versunken sein konnten. Ebensowenig war klar, wie die Leiche den Grund des Sees

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