Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz
Fenster des Hotels geschossen hatte, allerdings nicht aus dem Zimmer Olanders, was ja auch zuviel des Guten gewesen wäre. Nein, aus einem unbelegten Zimmer. Aber außer einem geöffneten Fenster und einer aufgebrochenen Zimmertüre gab es nicht den geringsten Hinweis auf ihn. Weder Fingerabdrücke noch Ohrenabdrücke. Denn neuerdings wurde ja auch nach den Spuren von Ohren gesucht, etwa wenn sich ein Täter mit dem Kopf gegen die Wand gelehnt hatte. Ohren waren so unverwechselbar wie Finger, woran aber nur wenige Kriminelle dachten. Sie trugen Handschuhe, aber keine Ohrenschützer.
Doch hier gab es weder solche noch solche Spuren.
»Jetzt ist es aber wirklich Zeit«, wandte sich Lukastik an Olander, nachdem man das Zimmer des Schützen begutachtet hatte und an einer Horde von Ermittlern vorbei in den Hiltroffer Abendnebel hinausgetreten war.
»Wofür denn?« fragte Olander ein wenig lallend und mit kleinen Augen. Attentat hin oder her, für ihn war jetzt Schlafenszeit.
»Daß Sie mit der ganzen Wahrheit herausrücken«, erklärte Lukastik. »Und hören Sie endlich auf, den Verrückten zu spielen.«
»Sie sagten zuvor, Sie seien müde«, erinnerte Olander. »So, und jetzt bin ich müde. Ich wäre fast erschossen worden.«
»Sie leben«, sagte Lukastik, wie man sagt: Sie riechen nach Knoblauch.
»Morgen«, erklärte Olander, Lukastik paraphrasierend, »morgen, da rede ich mit Ihnen. Heute ist es zu spät.«
»Also gut. Morgen ist der Tag.«
Da hatte Lukastik recht. Morgen würde der Tag sein.
14
Es versteht sich, daß die Polizisten von Hiltroff sowie deren Kollegen aus Wien noch in der gleichen Nacht alles unternahmen, um die Sicherheit des Vinzent Olander zu gewährleisten. Es war ein hehres Prinzip der österreichischen Polizei, sich nicht einfach den Hauptverdächtigen in einer Mordsache wegschießen zu lassen.
Leider weigerte sich Olander, ins Hotel Mariaschwarz zu übersiedeln. Weshalb dann Lukastik in der Herberge der Grongs ein Zimmer bezog, um Olander nahe zu sein. Die rosaäugige Marlies Herstal war schon eine Woche zuvor ins Hotel Hiltroff gewechselt, wahrscheinlich nicht nur, um Olander nahe zu sein, sondern auch dem Alkohol des POW! zuliebe, Alkohol, den sie mit bewundernswerter Erhabenheit zu konsumieren verstand. Selbst wenn sie später am Abend ein wenig wankte oder ein wenig undeutlich sprach, wirkte sie in keinem Moment vulgär oder willenlos oder heruntergekommen, sondern…man hatte das früher einmal »beschwipst« genannt. Ja, Damen waren früher beschwipst gewesen, nie besoffen. Man erinnert sich gerne.
Solcherart fand nun also eine schleichende Neugewichtung des Verhältnisses zwischen den beiden Hotels statt. Das Grong-Hotel (wie es neuerdings genannt wurde) schien dem so viel nobleren Hotel Mariaschwarz den Rang abzulaufen. Allein der sichtbare Polizeiring um das Grong-Hotel imponierte.
Die Nacht verging ohne weitere Zwischenfälle. Als Lukastik am nächsten Morgen das POW! betrat, saßen Olander und Marlies Herstal bereits an dem Tisch, aus dem die Ballistiker am Abend zuvor ein Metallstück gezogen hatten, das an einen verbogenen Goldzahn erinnerte. Neun Millimeter , was immer so toll klingt, ähnlich wie zwanzig Lichtjahre oder Vierzigtonner oder sechzig Minusgrade.
Lukastik setzte sich dazu und bestellte eine Tasse Kaffee. Grong nickte. An der Bar saß ein Uniformierter. Um einen Tisch herum Einheimische, die herübersahen, als warteten sie darauf, die Maße zur Anfertigung eines Sarges mitgeteilt zu bekommen.
»Ausgeschlafen?« erkundigte sich Lukastik, wartete aber die Antwort nicht ab, sondern forderte Olander auf, zu berichten, wie sich alles zugetragen hatte.
»Es stimmt«, sagte Olander, wie ein Patient sagt: Es wirkt.
»Was stimmt?«
»Daß ich damals das Ehepaar Kasos aufgesucht habe. Ich wollte reden…sachlich reden. Statt dessen hat mir dieser sogenannte Adoptivvater damit gedroht, die Polizei zu rufen und mich aus Mandello del Lario hinauswerfen zu lassen. Seine Frau Irene, sie wollte einlenken. Nicht, daß sie etwas gesagt hätte…es war bloß eine Geste, eine winzige Geste von Verständnis. Verständnis für mich. Aber ihr Mann hat das in keiner Weise zugelassen. Ein Blick von ihm hat genügt. Ich habe gleich gewußt, was das für ein Typ ist. Absoluter Machtmensch. Ohne Pardon. Keine Chance, so jemand um etwas zu bitten. Ich war damals Geschäftsmann. Ich wußte bestens, mit welchen Leuten man Geschäfte machen kann und mit welchen Leuten nicht. Und wann
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