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Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz

Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz

Titel: Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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irgendwann die entfleischten Handknochen aus dem Reifen der Handschelle gerutscht waren und der schwere Motor sich tief in den lockeren Grund eingegraben hatte. In drei Jahren waren solche Verschiebungen kein Wunder.
    Na gut, hier stand wenigstens so etwas wie ein Beweisstück.
    »Wir fahren zum Hotel«, sagte Lukastik, »und reden mit den beiden Grongs. Die werden ja hoffentlich wissen, wo Irene Kasos wohnt.«
    Natürlich war Irene Kasos nicht unter diesem Namen in Hiltroff bekannt. Sie nannte sich Dora Kolarov, eine Frau mit bulgarischen Papieren, die vor vier Jahren nach Hiltroff gekommen war, zusammen mit ihrer Tochter, die alle Ilva riefen. Frau Kolarov hatte kaum ein Wort Deutsch gesprochen, aber recht schnell Arbeit gefunden. So wie Lukastik vermutet hatte, putzte sie in beiden Hotels, reinigte die Büros der Fabrik und kümmerte sich um die Wohnungen einiger Hiltroffer Bürger. Sie galt als fleißig und ruhig, ja schweigsam, obwohl Frau Grong meinte, Dora hätte rasch die neue Sprache erlernt. Daran könne es also nicht gelegen haben, daß sie in diesen Jahren so zurückhaltend gewesen sei.
    »Das war schon immer mein Eindruck«, äußerte Frau Grong, »daß Dora aus den besten Verhältnissen stammt. Man kann das sehen. Auch wenn sich jemand gebückt gibt, man merkt das Aufrechte, das Gerade, die Haltung einer Reiterin, einer Pianistin. Nicht, daß ich Dora je darauf angesprochen hätte. Wenn jemand ordentlich arbeitet, kann er von mir aus vortäuschen, was er will.«
    »Wo wohnt Frau Kolarov?« fragte Lukastik.
    »Oben, in der weißen Kiste. Im Götz .«
    »Ich dachte, man würde dort nur Konferenzgäste beherbergen.«
    »Sie hat die Hausmeisterwohnung bekommen.«
    »Wie schön«, meinte Lukastik und gab Olander ein Zeichen, nach draußen zu gehen.
    Dort wartete ein Polizeiwagen mit zwei Uniformierten. Doch Lukastik fragte Olander, wie es wäre, den BMW zu nehmen. »Ich finde es ein bißchen schade, wenn ein so schöner Wagen einfach verrottet. – Stört es Sie, wenn ich fahre?«
    Gleichgültig sagte Olander: »Von mir aus.«
    Lukastik schickte die beiden Kollegen vor. Dann stiegen er und Olander in den einzig eleganten BMW der BMW-Geschichte. Aber braucht es mehr als ein Meisterwerk? Braucht es mehr als ein Universum?
    Mit dem Schließen der Türe wurde es dunkel und ruhig. Wie in einem Märchenwald, wo es nur noch Schatten gibt und jeder Schatten einen Schatten wirft. Verschachteltes Schwarz. Ewige Verdunkelung.
    Es gefiel Lukastik, diesen Wagen zu steuern. Er fuhr nicht schnell. Er fuhr mit Gefühl, liebevoll, als sitze er auf einem Drachen, den man ja tunlichst gut behandeln sollte.
    Dann sahen sie ihn, den Götz , jenen reinweißen Kubus, von dem einmal gesagt worden war, sein Weiß erinnere an gewässerte Milch. Halbiertes Weiß.
    Doch als nun die beiden Männer auf dem neuen, glatten, dudengelb markierten Zufahrtsweg nach oben fuhren, da wirkte der Baukörper vor dem Hintergrund des gewittrigen Himmels so ungemein kompakt und strahlend. Eher wie Weiß hoch zwei.
    Trotz der Nähe zum See war es das erste Mal, daß Lukastik dieser Architektur ansichtig wurde. Er fragte Olander: »Kennen Sie sich in dem Gebäude aus?«
    »Ich war nie drinnen.«
    »Na gut. Dann ist jetzt der richtige Zeitpunkt.«
    Sie parkten auf einer betonierten Fläche, die wie eine umgefallene Wand neben dem Komplex lag. Darauf drei Reihen mit Mietwagen. Offenkundig war ein Kongreß im Gange. Und in der Tat, über dem Eingang aus undurchlässig rotem Glas flatterte ein Transparent und kündete von einer Veranstaltung mit dem Titel:
     
    Strings, Branen und Beutel
    Neue Vermutungen über den Raum im Raum
    Lukastik gab seinen uniformierten Kollegen ein Zeichen, im Wagen zu warten. Er war kein Freund großer Aufgebote. Zusammen mit Olander ging er zum Eingang. Sie traten nahe vor die rote Scheibe hin, aber die automatische Tür blieb geschlossen. Lukastik drückte auf einen im weißen Mauerwerk beinahe unsichtbaren Knopf – auch so ein Raum im Raum.
    Es dauerte eine halbe Minute, da öffnete sich das Rot. Aus dem Inneren näherte sich eine Frau. Ihre kräftig bemalten Lippen waren quasi ein Ersatz für die zur Seite geglittene Glastüre. Lukastik seufzte bei ihrem Anblick. Es war die, welcher er bereits in der Fabrik begegnet war. Jene Sekretärin des Bürgermeisters. Obgleich man sie eher für das Orakel des Bürgermeisters hätte halten können, so wie sie da stand, in einem grauen Kostüm von stählerner Wirkung. Sie klang jetzt

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