Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz
tatsächlich eine Türe aus blauem Glas – als lebte hier der letzte Mensch, der sich noch traute, zurückzureden.
»Ein bißchen vorsichtig sollten wir schon sein«, meinte Lukastik, seine Stimme leiser drehend. Dennoch klopfte er an, das gehörte sich nun mal. Er haßte die Vorstellung, eine Frau – ob sie nun schuldig war oder nicht – in ihrer Unterwäsche zu überfallen.
Doch niemand rührte sich. Lukastik drückte die kleine, silberne Schnalle. Die blaue Tür ging auf, auch sie geräuschlos. Lukastik betrat einen dunklen, kurzen Vorraum, der in ein sehr viel helleres Zimmer führte. Von oben fiel Tageslicht herein und bestreute den Raum. Durch das quadratische Deckenfenster waren jene Wolken zu sehen, die es immer wieder nach Hiltroff zog. Der Teppichboden war so blau wie die Türe, dunkles Kobalt. Ein modernes Gästezimmer, das übliche breite Designerbett, der übliche glatte Wandschrank aus dunklem Holz, sogar eine Minibar, die einen kleinen Tresor trug, vielleicht auch umgekehrt. Die kalte Ordnung wurde allerdings konterkariert von einigen Spielsachen. Da lagen Plüschtiere auf dem Bett, Rollschuhe in der Ecke und gestapelte Brettspiele auf einer Kiste. An den Wänden hingen Kinderzeichnungen. Auf einem gegen die Wand gerückten Tisch stand ein gerahmtes Foto. Lukastik erkannte es sofort. Es war jenes, auf dem man Irene Kasos neben dem Papst sehen konnte. Diesmal aber ohne ihren Mann, den Professor, der von dem Bild heruntergeschnitten worden war. Exkommuniziert von seiner Gattin.
Es stimmte also. Dora Kolarov war Irene Kasos. Die geflüchtete Ehefrau als Putzfrau von Hiltroff. Unbemerkt sogar von Vinzent Olander, der mit dieser Frau einst ein Verhältnis gehabt hatte. Passenderweise sagte Olander, als er jetzt zu Lukastik getreten war und das Foto betrachtete: »Irrsinn.«
»Ja, wenigstens brauchen wir jetzt keinen Zweifel mehr zu haben«, ergänzte Lukastik. Hingegen war er durchaus im Zweifel darüber, ob er und Olander sich alleine in dieser Wohnung aufhielten. Er wußte nicht gleich, was es war, das ihn irritierte. Ein Geräusch? Nein, es war wohl eher die deutliche Einbuchtung auf der ansonst so sorgsam glattgestrichenen Bettdecke. So, als wäre gerade noch jemand auf diesem Bett gesessen.
Lukastik machte einen Schritt auf das Bett zu, ging ein wenig in die Knie und griff wie nebenbei in die Mulde. Er meinte die Wärme zu spüren, die irgendein Hinterteil an dieser Stelle zurückgelassen hatte. – War das überhaupt möglich, daß man so etwas spürte? Nun, Lukastik mochte eine Maschine sein, aber eine Maschine mit einem kreatürlichen Kern. Mit dem Herzen einer Hauskatze und der Nase eines Hundes. Wenn es etwas zu riechen gab, roch er es.
Er drehte den Kopf zur Seite, nicht zu rasch, nicht zu langsam. Da war ein Spalt in der Türe, der rechts am Doppelbett in einen dahinterliegenden Raum führte, wahrscheinlich das Badezimmer. Und während nun… Der Spalt vergrößerte sich, langsam, stückchenweise. Lukastik erkannte einen aufblitzenden kleinen Stern, Licht, das sich auf irgendeiner reflektierenden Fläche spiegelte. Das konnte eine Brosche sein, ein Feuerzeug, ein Weinglas, irgend etwas, das in Brusthöhe gehalten wurde. Und natürlich auch eine Pistole. Was war wahrscheinlicher: Pistole oder Brosche?
Lukastiks Katzenherz sagte ihm, daß es sich bei dem, was da so schön blitzte, ganz sicher um keine Brosche, sondern mit einiger Wahrscheinlichkeit um eine Waffe handelte. Und dasselbe Katzenherz sagte ihm auch, daß diese Waffe kaum von Dora Kolarov gehalten wurde. Und schon gar nicht von einer kleinen Elfjährigen.
Für Lukastik ergab sich daraus eine jener Situationen, in denen es besser war, einen Fehler zu riskieren, als gar nichts zu tun. Also zog er seine Waffe und schoß augenblicklich, und zwar ohne zuvor eine dieser überflüssigen Warnungen – Hallo! Hier ist die Polizei! – ausgerufen zu haben. Auch zielte er nicht etwa auf den Plafond oder Richtung Boden. Das wäre ja auch lächerlich gewesen, jemand außer Gefecht setzen zu wollen, indem man einen kobaltblauen Spannteppich perforierte.
Nicht, daß Lukastik zu den Polizisten gehörte, die gerne schossen. Aber wenn er es tat, dann ordentlich. Ein Schuß sollte eine Situation bereinigen, nicht sie verkomplizieren.
Der Winkel lag günstig, das Projektil flog geradewegs in den handbreiten Türspalt und traf das, was sich hinter ihr befand. Jemand fiel zurück und krachte auf eine harte Fläche auf. Und dann noch etwas
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