Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz
ragte.
»Sie haben gute Augen«, stellte Herstal fest.
»Wenn man etwas sehen will, ist es auch da«, meinte Lukastik, der immer wieder vergaß, daß er eigentlich nichts mehr mit Philosophie zu tun haben wollte.
Der Pilot steuerte einen der Roboterarme nach unten, führte ihn tief in den Sand und packte den Gegenstand. Welcher jedoch feststeckte. Also graben.
Es dauerte eine ganze Weile, bis das Objekt freigelegt war und auf einer kleinen, vom Bug abstehenden Plattform untergebracht werden konnte. Es schien sich um den Teil eines Motors zu handeln. Vielleicht bloßer Schrott, vielleicht aber der Gegenstand, der verhindert hatte, daß Andrea Peros Leiche nach oben getrieben war.
»Ich würde mir gerne alles hier ansehen, den gesamten Seegrund«, erklärte Lukastik.
»Genau das hatte ich vor«, antwortete Marlies Herstal und gab Anweisung, das Boot Richtung Mariator zu steuern. Marlies hatte nämlich nach den ersten beiden Tauchgängen und mit Hilfe der Aufzeichnungen des Sonars eine Karte der Topographie des Sees zusammengestellt, wobei sie die lokalen Punkte ganz im Stil einer Mondkarte mit diversen Namen und Bezeichnungen versehen hatte: Stein der Weisen , kleiner Krater Zeppelin , Korb der Nüchternen , die Katze am Ende der Straße und so weiter. Und eben auch Mariator , ein bogenförmiger Stein von einem halben Meter Höhe.
Die Übersichtlichkeit des Grundes war nur scheinbar von Vorteil. Das gleichbleibende Aussehen verwirrte, diese Ansammlung ähnlicher Findlinge, die in konstanten Abständen ein Feld bildeten. Ein Grabsteinfeld, wie Lukastik jetzt mit einigem Unbehagen dachte. So gesehen war der kleine steinerne Bogen ein markantes, aus dem Feld herausstechendes Objekt. Herstal präsentierte den Solitär wie eine Sehenswürdigkeit.
» Marliestor wäre doch auch ein passender Name gewesen«, fand Lukastik.
Herstal erwiderte: »Ich möchte lieber die Seeschlange nach mir benennen, wenn’s recht ist?«
»Natürlich«, äußerte der Chefinspektor und äußerte auch, daß hier unten alles ausgesprochen künstlich aussehe, hingestellt, ausgedacht.
»Das ist wie mit Kristallen«, sagte Herstal. »Wenn sie ungehindert wachsen können, könnte man meinen, sie seien geschliffen. Merkwürdigerweise schreiben wir der Natur das Chaos zu und uns die Ordnung. Dabei ist es sicher umgekehrt.«
Vom Mariator aus bewegte sich das U-Boot nach Norden hin, einem Bereich, den Herstal den blinden Fleck getauft hatte, und zwar darum, weil sie diese Zone erst auf Grund der letzten Sonaraufzeichnungen entdeckt hatte. Der Bereich lag gewissermaßen um die Ecke, wobei sich diese Ecke aus einer mauerartig glatten Erhebung ergab. Dahinter lag eine Fläche von der Größe eines Volleyballfeldes, bevor dann eine weitere Steilwand beinahe gerade hinauf zum Ufer führte, und zwar ziemlich genau zu jener Stelle, an der Vinzent Olander in eine steinerne Glocke gefallen war und beinahe ertrunken wäre. Wäre da nicht ein aufmerksamer Wirt gewesen.
Der U-Boot-Pilot richtete die beiden Scheinwerfer etwas höher aus und erweiterte den Winkel, um die gesamte Fläche so gut als möglich ins Licht zu stellen. Quasi eine mächtige Bresche in das Dunkel schlagend. Und man darf sagen: Es zahlte sich aus.
Ja, Marlies Herstal würde berühmt werden. Allerdings nicht mittels einer Seeschlange. Was ja auch zu schön gewesen wäre. Selbst Rätsel und Wunder müssen sich an gewisse Spielregeln halten. Freilich existieren auch Regeln, von denen wir keinen blassen Schimmer haben.
»Gott, was ist das?« fragte Lukastik.
Statt einer Antwort griff sich Marlies Herstal ans Herz und sagte: »Mariaundjosef!«
Was für ein passender Ausruf. Nämlich wenn man bedachte, daß zu jeder richtigen Maria auch ein Josef gehörte und daß ein solcher Josef stets hinter seiner Maria stand, also von ihr, der ungleich Wichtigeren, verdeckt wurde.
Während Marlies Herstal dieses »Mariaundjosef!« ausrief, schwebte die 333 auf eine etwa zehn Meter lange und einige Meter breite, unregelmäßig ovale, dunkle Fläche zu, die von einem uferartigen Rand begrenzt wurde. Ufer artig ? Nein, das stimmte nicht. Vielmehr handelte es sich tatsächlich um ein Ufer. Diese Fläche hier war eine Oberfläche, die Oberfläche eines weiteren Gewässers. Das, was die vier Personen zu Gesicht bekamen, das war ein See im See , ein kompaktes, sich in keiner Weise mit dem Wasser des Mariensees vermischendes Gewässer, ein dunkler Tümpel, der das Prinzip einer russischen Puppe erfüllte.
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