Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz
der Zeit aufzuräumen.
Aufräumen und saubermachen und putzen , das ist nicht alles das gleiche.
16
Lukastik kam gar nicht erst auf die Idee, sich mit der Staatsanwaltschaft in Verbindung zu setzen und einen Durchsuchungsbefehl für die Fabrik zu beantragen. Mit welchem zwingenden Argument auch? Nein, das konnte er sich sparen. Statt dessen fuhr er zusammen mit Olander hinüber zu der Anlage aus rotem Backstein und parkte den Wagen vor der Einfahrt.
Olander protestierte. Er wollte nach Irene und dem Kind suchen.
»Die beiden sind weg«, erinnerte Lukastik. »Und ich finde, wir sollten die Frau wirklich in Ruhe lassen.«
»Sie glauben ihr?«
»Ja, ich glaube ihr.«
»Aber das Kind…«
»Sie haben sich da in was verrannt, Olander, das wissen Sie. Hören Sie auf damit. Auch Sie müssen zur Ruhe kommen.«
»Und was meinen Sie, was ich mit dieser Ruhe anfangen soll? Bis ans Ende meiner Tage in Hiltroff sitzen und saufen.«
Lukastik antwortete: »Ich finde, Frau Herstal ist eine faszinierende Frau.«
»Was soll das wieder heißen?«
»Das soll heißen, daß es viel weniger darauf ankommt, wo man säuft, sondern mit wem man säuft. Soviel zum Saufen. Also, steigen wir aus.«
Das taten sie und gingen durch den alten, hohen Torbogen, auf dem in Fraktur stand: DER ARBEIT IHRE FREIHEIT.
Im Hof kam ihnen der Prokurist entgegen.
»Wo ist der Direktor?« fragte Lukastik.
»Werden Sie von ihm erwartet?« fragte der junge Mensch zurück.
»Was wollen Sie? Daß ich mit zehn Scharfschützen hier einmarschiere? Oder doch lieber, daß wir die ganze Angelegenheit in einer kultivierten Weise zu einem Ende führen. Und ein Ende muß es nun mal geben.«
»Gut, ich bringe Sie zu Dr. Pichler. Er ist in seinem Büro.«
»Na, dann gehen wir«, trieb Lukastik den jungen Mann an, meinte aber plötzlich, er würde gerne den Weg über die Werkshalle nehmen.
»Das ist aber umständlich.«
»Trotzdem«, sagte Lukastik.
»Na, wie Sie wollen.«
Auf diese Weise gelangte man in jenen langgestreckten, fensterlosen Verbindungsgang, in welchem Plastikfiguren aus der Hiltroffproduktion ausgestellt waren. Aber etwas hatte sich verändert. Lukastik bemerkte es sofort. Dort, wo am Vortag noch ein als Seeschlange verkleideter Primat zu sehen gewesen war, befand sich nun eine andere Figur, ein Troll mit Schwert.
»Wo ist die Seeschlange?« fragte Lukastik und zeigte auf den betreffenden Schaukasten.
»Seeschlange? Sie verwechseln da etwas. Die Seeschlangen gibt’s im See.«
»Schon gut«, meinte Lukastik und kündigte an: »Die Wortspielerei wird Ihnen noch vergehen.«
»Haben Sie ein Problem, weil wir hier nicht in der Stadt sind? Ein Problem mit der Provinz?« fragte der Prokurist.
»Nein, nur mit den Provinzlern«, antwortete Lukastik, beendete mit einer knappen Geste die kleine Schaumschlägerei und ließ sich ins obere Stockwerk führen.
Entlang einer durchgehenden Scheibe, hinter der ein paar Büroleute die Köpfe reckten, erreichte man eine massive Wand aus grob behauenem Kalkstein. Ein wenig links von der Mitte befand sich eine Türe aus undurchlässig farbigem Glas, nicht kobaltblau, nicht rot wie die Lippen eines Orakels, sondern schwarz wie der Mariensee.
Eine Sekretärin kam von der Seite her, erklärte, der Chef wolle nicht gestört werden.
»Polizei«, sagte Lukastik, wie man sagt: Kaiserschnitt.
Er gab der Sekretärin und dem Prokuristen zu verstehen, sich entfernen zu dürfen, und öffnete – ohne diesmal geklopft zu haben, weil ja keine Dame in Unterwäsche drohte – die schöne schwarze Glastüre.
Es war ein richtig schickes Büro, ein Stadtbüro mit Aussicht aufs Land. Seitlich eine Wand von dem gleichen hellen Kalkstein, darauf – weil der Zufall es so und nichts anders wollte – ein repräsentatives Gemälde von Roy Lichtenstein, nicht so gelungen wie das Sweet Dreams Baby im POW!, aber groß und in Acryl.
Dr. Pichler, der Firmenchef, saß hinter einem mächtigen Tisch aus weißem Kunststoff, auf dem einige Bücher und Papiere verteilt waren. Vor Dr. Pichler jedoch lag eine Pistole. Keine neun Millimeter und keine französische Verlaine. Sondern eine österreichische GLOCK, einen Millimeter darüber.
Dr. Pichler sah abrupt hoch, als falle er direkt aus einem Traum. Keinem schönen Traum. Er wollte nach der Waffe greifen. Lukastik aber mahnte: »Nicht.«
»Ich will doch gar nicht Sie erschießen«, erklärte Dr. Pichler.
»Schon klar. Aber so geht das leider nicht. Bei mir hat sich schon einmal
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