Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit
Schweizerischen Eidgenossenschaft, Blutsbrüderschaft schließen –, der demokratische Verleger Julius Fröbel, Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung und Bundesgenosse von Robert Blum (mit dem er am Wiener Oktoberaufstand 1848 teilgenommen hatte), sowie der Kreis um das Publizisten-Ehepaar Eliza und François Wille (das 1851 nach republikanischen Aktivitäten aus seiner Heimatstadt Hamburg nach Mariafeld bei Zürich zog), zu dem unter anderen auch der 1855 aus Deutschland nach Zürich zurückkehrende Gottfried Keller und Gottfried Semper gehörten.
Mit seinen Freunden traf Wagner sich nicht nur zu Gesprächen, sondern er erwanderte auch mit den Körpertüchtigen unter ihnen in riesigen Fußmärschen und Bergbesteigungen, ja Gletschertouren die halbe Schweiz. Die Gebirgsszenerien im Ring sind von diesen Eindrücken der Schweizer Bergwelt gewiss mitinspiriert. Wagner scheint also eine erstaunlich gute körperliche Kondition gehabt zu haben. Von Jugend an hatte er eine fast akrobatische Veranlagung, konnte Fassaden und bis ins Alter Bäume hinaufklettern, wie er selbst in Mein Leben schreibt und auch von anderen berichtet wird. Trotzdem war es mit seiner Gesundheit nicht zum Besten bestellt. Beginnende Herzprobleme, Darmbeschwerden, Allergien (die ihn zwangen, nur noch Seidensto ff e zu tragen) und die ihn immer wieder verfolgende Gesichtsrose machten ihm das Leben schwer. Aus diesem Grunde begab er sich mehrfach zur Kur in Schweizer Wasserheilanstalten. Im übrigen war er auch in Zürich gegen die Nachstellungen der sächsischen Polizei nicht gefeit. Noch 1853 wurde er erneut steckbrieflich gesucht, mehrere Auslieferungsbegehren gingen an die Züricher Behörden, wurden allerdings regelmäßig abschlägig beschieden. In den ersten Jahren des Exils tritt der Komponist Wagner hinter dem Publizisten vollständig zurück. In Zürich entstehen zwischen 1849 und 1851 in dichter Folge – und sofort gedruckt – Wagners sogenannte »Zürcher Kunstschriften«, in denen er sich Rechenschaft über seine Kunstprinzipien und ihren Zusammenhang mit der allgemeinen gesellschaftlichen und kulturellen Lage gibt sowie die Vision einer zukünftigen ästhetischen Kultur und dramatischen Kunst entwickelt. Neben dieser publizistischen Tätigkeit entfaltet Wagner eine rege musikalische Aktivität. Schon am 15. Januar 1850 fi ndet in einem Konzert der Zürcher Allgemeinen Musikgesellschaft die erste Aufführung einer Beethovenschen Symphonie (und zwar gleich der Neunten) statt. Daraus entwickelt sich bis 1855 ein alljährlicher Zyklus mit Werken Beethovens und Kompositionen aus seiner eigenen Feder, der beim Züricher Publikum und bei der Kritik auf bedeutende Resonanz stößt. Doch auch Operndirigate folgen. Im Oktober 1850 leitet Wagner im Züricher Aktientheater mit stürmischem Erfolg den Freischütz , im November einen von ihm eingerichteten und neuübersetzten Don Giovanni (WWV 83); auch auf seinem künstlerischen Weg nicht mehr zu vermutende Opern wie Boieldieus Weiße Dame und Bellinis Norma bringt er zur Aufführung. Den Höhepunkt seiner Züricher Operntätigkeit bilden im April und Mai 1852 vier Aufführungen des von ihm einstudierten Fliegenden Holländer , dessen (bereits 1846 überarbeitete) Partitur er einer neuen Revision unterzieht. Zürich bietet ihm nicht nur Sicherheit und Arbeitsfreiheit, sondern kommt ihm durch sein liberales Ambiente und den Zuspruch des Publikums bedeutend entgegen.
Kein Wunder, dass er auch für Zürich – wie an fast allen Stätten seines Wirkens von Dresden über Weimar und Wien bis München und Bayreuth – einen Theaterreformplan entwickelt, der weitreichende Zukunftsvisionen mit den provinzialen Gegebenheiten vermittelt. In seinem Bericht an Seine Majestät den König Ludwig II. von Bayern über eine in München zu errichtende deutsche Musikschule (1865) hat er die einheitliche Tendenz seiner diversen Reformprojekte beschrieben: »Außerdem habe ich an den Orten, an denen ich wirkte oder auch nur längere Zeit mich aufhielt, wiederholt mich bemüht, mit besonderer Beachtung der lokalen Gegebenheiten auf den Weg der Reform hinzuweisen, und zwar mit genauem Eingehen auf diese lokalen Gegebenheiten, indem ich mit bestimmten praktischen Angaben nachwies, wie aus ihnen das nöthige Gute für das Gedeihen der Kunstp fl ege zu entwickeln sei.« (GS VIII, 175) Und so projektiert er auch Ein Theater für Zürich (1851), das sich als einziges auf eine gewachsene Volkstheatertradition stützen
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