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Richter 07

Richter 07

Titel: Richter 07 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gulik
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steht es indessen links an der Wand. Seid Ihr sicher, es rechts gesehen zu haben?«
    »Absolut, Herr! Diese Szene steht auf immer vor meinen Augen. Vielleicht stellte die Herbergsverwaltung die Möbel später um.«
    »Das werde ich klären. Noch eine letzte Frage. Ihr bekamt die Person im roten Gewand nur flüchtig zu Gesicht, aber Ihr erkanntet doch wenigstens, ob sie ein Mann oder eine Frau war, vermute ich?«
    Tau schüttelte bekümmert den Kopf.
    »Ich konnte es nicht erkennen, Euer Gnaden. Ich erinnere mich nur, daß es eine hochgewachsene Person war in einem roten Gewand. Ich versuchte herauszubekommen, ob jemand in einem solchen Gewand zur fraglichen Stunde in oder nahe bei der Herberge zur ›Ewigen Wonne‹ gesehen wurde, doch vergebens.«
    »Rot wird von Männern selten getragen«, bemerkte Richter Di nachdenklich, »und anständige Mädchen tragen ein rotes Kleid nur einmal, an ihrem Hochzeitstag. Daraus müßte man folgern, daß die dritte Person in jenem Zimmer eine Kurtisane war.«
    »Das meinte auch ich, Herr! Ich tat alles, um herauszufinden, ob Jadegrün vielleicht manchmal ein rotes Kleid getragen hatte. Doch niemand hatte sie jemals in Rot gesehen; sie zog grün vor, schon ihres Namens wegen.«
    Tau schwieg. Er zupfte an seinem kurzen Schnurrbart und sprach dann weiter:
    »Längst würde ich diese Insel verlassen haben, hätte ich nicht gewußt, daß ich nirgends Ruhe und Frieden finden könnte, solange dieses Rätsel nicht gelöst ist. Ich empfinde auch, daß ich mit der Fortführung des von meinem Vater hier aufgebauten Geschäfts wenigstens einen Teil meiner Sohnespflicht erfülle. Aber sicherlich fällt es mir sehr schwer, hier zu leben, Herr. Feng ist immer so gut zu mir, und seine …« Unvermittelt brach er ab. Mit einem raschen Seitenblick auf den Richter fuhr er fort: »Ihr werdet jetzt verstehen, daß ich mir meine literarische Beschäftigung nicht als Verdienst anrechnen kann, sie ist nichts weiter als ein Versuch, zu entfliehen. Eine Flucht vor der Wirklichkeit, die mich verrückt macht und oft in Angst und Schrecken versetzt …«
    Er wich seinem Blick aus; offenbar hielt er sich nur mit Mühe in der Gewalt. Um den Gesprächsgegenstand zu wechseln, fragte Richter Di:
    »Habt Ihr irgendeine Ahnung, wer die gegenwärtige Blumenkönigin Herbstmond so sehr gehaßt haben könnte, daß er sie ermorden wollte?«
    Tau schüttelte den Kopf. Er antwortete:
    »Ich beteilige mich nicht an diesem hektischen Nachtleben hier, Herr, und ich habe die Blumenkönigin nur bei offiziellen Anlässen getroffen. Von ihr hatte ich den Eindruck einer seichten, launischen Frauensperson, doch fast alle Kurtisanen sind ja so oder durch ihren unseligen Beruf so geworden. Sie war allgemein beliebt und nahm fast jeden Abend an irgendeiner Gesellschaft teil. Ich hörte, daß sie, ehe man sie zur Blumenkönigin vor ein paar Monaten wählte, ziemlich wahllos mit ihren Gunstbezeigungen war. Nachher jedoch wollte sie nur noch mit besonderen Kunden schlafen, mit vornehmen, reichen Leuten, und auch diese hatten sie sehr zu umwerben, bevor sie sich zu ihnen herabließ. Keine ihrer Liebschaften entwickelte sich zu einer dauerhaften Verbindung, soviel mir bekannt ist, und noch nie hörte ich, daß sich ein Mann erbot, sie loszukaufen. Ich glaube fast, ihre scharfe Zunge schreckte die Kunden ab. Der Akademiker scheint der erste gewesen zu sein, der sie freikaufen wollte. Falls es jemand gab, der sie mit seinem Haß verfolgte, müßte die Ursache in der Vergangenheit zu suchen sein. Auf jeden Fall vor der Zeit ihrer Ankunft auf unserer Paradiesinsel.«
    »Gut. Nun will ich Euch aber nicht länger aufhalten, Herr Tau. Ich bleibe noch hier, um meinen Tee auszutrinken. Richtet bitte Herrn Feng aus, daß ich augenblicklich in sein Büro komme.«
    Sobald Tau außer Hörweite war, sprang der Richter auf und schaute hinter den Wandschirm. Das dort stehende, schmächtig gebaute Mädchen stieß einen unterdrückten Schrei aus. Es warf wilde Blicke um sich und wandte sich dann dem Treppchen zu, das ins Gebüsch an der Rückseite des Pavillons führte. Richter Di packte es am Arm und riß es zurück. Er fragte hart:
    »Wer seid Ihr, und warum habt Ihr gehorcht?«
    Sie biß sich auf die Lippen und sah den Richter böse an. Sie hatte ein regelmäßiges, kluges Gesicht mit ausdrucksvollen großen Augen, über denen sich schöne Augenbrauen bogen. Das Haar trug sie straff zurückgekämmt und im Nacken zu einem Knoten geschürzt. Ihr schwarzes

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