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Richter 07

Richter 07

Titel: Richter 07 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gulik
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erzählt, daß sich damals auch zwei andere Männer um Jadegrüns Gunst bemühten: Feng Dai, zu jener Zeit vierundzwanzig Jahre alt, und der Kunsthändler Wen Yüan, ungefähr fünfunddreißig. Wen war schon seit acht Jahren verheiratet, ohne aber einen Sprößling bekommen zu haben. Es war allgemein bekannt, daß er unfähig war, seine ehelichen Pflichten auszuüben, und unter den Kurtisanen raunte man, daß er eine widernatürliche Befriedigung darin suchte, die Frauen zu quälen und ihnen Schmerzen zu verursachen. Er hofierte Jadegrün nur, weil er sich als Lebemann wichtig machen wollte. Das setzte Feng Dai in Vorteil, der ein hübscher Junggeselle und außerdem in Jadegrün sterblich verliebt war. Es hieß, daß er sie zu seiner Ersten machen wollte.«
    Tau schwieg. Abwesend starrte er auf die blühenden Sträucher. Richter Di wandte seinen Kopf aufhorchend dem Wandschirm zu. Er hatte ein Rascheln dahinter vernommen. Er spannte seine Sinne an, doch nun war es wieder ganz still. So dachte er, das Geräusch habe vielleicht von herabfallenden, trocknen Blättern hergerührt. Nach einer Weile heftete Tau seine großen, traurigen Augen auf den Richter und nahm seine Erzählung wieder auf:
    »Unbestimmte Gerüchte wiesen auf Feng als den Mörder meines Vaters. Man kombinierte, daß Feng der Jadegrün bevorzugter Liebhaber war, daß er meinen Vater im Roten Zimmer angetroffen und dort nach einem heftigen Streit ermordet habe. Wen Yüan machte verhüllte Andeutungen, daß dies richtig sei; er wisse es. Aber als ich Beweise von ihm forderte, konnte er nur sagen, daß Jadegrün es auch gewußt und die Geschichte vom Selbstmord nur bestätigt habe, um Feng zu schützen. Er fügte hinzu, daß er selbst Feng im Park hinter dem Roten Pavillon zu einer Zeit gesehen habe, als mein Vater starb. Auf diese Weise schienen alle Tatsachen auf Feng hinzudeuten.
    Die Worte fehlen mir, Ihnen zu beschreiben, Herr, wie tief mich diese Schlußfolgerungen erschütterten. Feng war meines Vaters bester Freund und nach seinem Tod meiner Mutter vertrauter Ratgeber geworden. Als sie gestorben und ich erwachsen war, half mir Feng bei der Fortführung des väterlichen Geschäfts, so daß er stets wie ein zweiter Vater zu mir stand. War er meines Vaters Mörder, der die Familie seines Opfers nur deshalb so gütig behandelte, weil er dadurch sein Gewissen beruhigen wollte? Oder beruhten die Gerüchte, die Fengs Feind Wen Yüan lebendig erhielt, lediglich auf böswilliger Verleumdung? So wurde ich alle diese langen Jahre von Zweifeln hin und her gerissen. Mit Feng habe ich täglich zu tun, Herr. Natürlich lasse ich mir ihm gegenüber niemals meinen fürchterlichen Verdacht merken. Doch unaufhörlich beobachte ich ihn, warte auf ein Wort, eine Bewegung, durch die der Beweis erbracht würde, daß er meines Vaters Mörder ist. Ich kann wirklich nicht …«
    Seine Stimme versagte; er vergrub sein Gesicht in den Händen.
    Richter Di blieb ruhig. Er vermeinte, das schwache Geräusch wieder hinter dem Wandschirm gehört zu haben. Diesmal war es wie das Knistern von Seide. Er lauschte angestrengt. Als alles ruhig blieb, antwortete er ernst:
    »Ich danke Euch, Herr Tau, daß Ihr mir alles so genau erzähltet. Tatsächlich finde ich viel Ähnlichkeit mit dem vermeintlichen Selbstmord des Akademikers. Ich werde alle Zusammenhänge sorgfältig überprüfen. Für den Augenblick beschränke ich mich aber auf die Feststellung einiger weniger Einzelheiten. Erstens, warum erkannte der Amtmann, der diesen Fall zu untersuchen hatte, auf Selbstmord? Ihr beschriebt ihn mir als weisen, zuverlässigen Beamten. Auch er mußte die Möglichkeit erwogen haben, so wie Ihr es später tatet, daß der Schlüssel trotz der verschlossenen Tür durchs Fenster geworfen oder unter der Türritze ins Zimmer hineingeschoben worden war, nicht wahr?«
    Tau blickte auf. Niedergeschlagen antwortete er:
    »Gerade zu jener Zeit hatte der Amtmann alle Hände voll mit der Pockenepidemie zu tun, Herr. Es heißt, die Menschen krepierten wie die Ratten, und die Leichen türmten sich in Haufen in den Straßengräben. Meines Vaters Verhältnis zu Jadegrün war stadtbekannt; man darf also annehmen, daß ihre Aussage als eine einfache und willkommene Erklärung hingenommen wurde.«
    »In Eurer Erzählung über jenes schreckliche Jugenderlebnis«, fuhr der Richter fort, »habt Ihr gesagt, daß das Bett bei Eurem Eintritt ins Rote Zimmer auf der rechten Seite stand, von Euch aus gesehen. Gegenwärtig

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