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Richter 07

Richter 07

Titel: Richter 07 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gulik
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hinüber und flüsterte:
    »Geh und suche Kommissär Hwang auf. Dann läufst du rasch hinüber zur ›Kranichlaube‹ und zu Kias Herberge und prüfst seine Aussage nach.« Zu Feng Dai gewandt, sagte er: »Ich möchte mit Herrn Tau privat sprechen. Könnt Ihr mich zu einem Zimmer führen, wo wir ungestört sind?«
    »Sicherlich, Herr! Ich werde Euer Gnaden in den Gartenpavillon führen. Er liegt im Hinterhof, in der Nähe der Frauengemächer, wo niemand von außerhalb vorbeigeht.« Einen Augenblick zögerte er und fuhr fort, als ob er anderen Sinnes geworden wäre: »Falls ich mir zu bemerken erlauben darf, Herr, verstehe ich nicht recht, warum Euer Gnaden beschlossen haben, die beiden Fälle schwebend zu halten. Ein einwandfreier Fall von Selbstmord und ein durch Herzschlag herbeigeführter Todesfall … Ich hätte gedacht, daß …«
    »Oh«, sagte Richter Di unbestimmt, »nur weil ich noch ein wenig mehr über die Hintergründe der beiden Fälle erfahren möchte. Um sie gewissermaßen abzurunden, sozusagen.«

Neuntes Kapitel
    Der Pavillon lag im Hintergrund eines ausgedehnten Blumengartens, halb versteckt hinter hohen Oleanderbüschen, die um ihn herum gepflanzt waren. Richter Di setzte sich in einen Lehnstuhl, der vor einem hohen, mit Pflaumenblüten bemalten Wandschirm stand. Er forderte Tau Pan-te auf, in einem Stuhl neben dem kleinen runden Teetisch Platz zu nehmen, wo Fengs Diener das Teetablett und eine Schale mit kandierten Früchten hingestellt hatte.
    In diesem abgelegenen Winkel des Anwesens herrschte tiefe Stille, nur das Summen der zwischen den weißen Oleanderblüten fliegenden Bienen war zu hören.
    Ehrerbietig wartete Tau Pan-te den Augenblick ab, wo der Richter das Wort ergreifen würde. Nachdem er einige Schlucke Tee zu sich genommen hatte, begann Richter Di die Unterredung in freundlichem Ton:
    »Ich erfuhr, daß Ihr, Herr Tau, den schönen Künsten zugetan seid. Lassen Euch Eure Weingeschäfte und die Haushaltsführung denn genug Zeit und Muße zu literarischen Liebhabereien übrig?«
    »Ich bin in der glücklichen Lage, Euer Gnaden, mich auf ein erfahrenes Personal stützen zu können. Die mit dem Weinhandel und den Speisehäusern zusammenhängenden Tagesgeschäfte kann ich meinen Leuten ruhig überlassen. Und da ich unverheiratet bin, ist die Führung meines Haushalts denkbar einfach.«
    »Erlaubt mir, Herr Tau, daß ich nun gleich zur Sache komme. Ich möchte Euch sagen, natürlich im strengsten Vertrauen, daß nach meiner Ansicht sowohl der Akademiker wie auch die Blumenkönigin ermordet wurden.«
    Er beobachtete Tau bei diesen Worten gespannt, doch zeigte sich auf dessen undurchdringlichem Gesicht keine Veränderung. Tau fragte ruhig:
    »Wie erklären dann Euer Gnaden, daß in beiden Fällen niemand ins Zimmer eindringen konnte?«
    »Ich kann es nicht! Doch ebensowenig kann ich erklären, daß der Akademiker, der sechs Nächte nacheinander mit anderen Frauen geschlafen hatte, sich so sterblich in die Blumenkönigin verliebt haben sollte, daß er freiwillig in den Tod ging, nur weil sich die Dame ihm versagte! Auch kann ich nicht verstehen, daß die Blumenkönigin, als sie sich an den Hals griff, keine Spuren ihrer spitzen, langen Nägel in der Haut hinterließ. Es steckt mehr hinter diesen beiden Fällen, als das Auge zu sehen vermag, Herr Tau.« Als Tau langsam nickte, fuhr der Richter fort: »Bis jetzt habe ich nur unbestimmte Vorstellungen. Ich glaube indessen, daß der Selbstmord Eures Vaters, der in demselben Roten Pavillon geschehen sein soll und unter den gleichen Umständen wie beim Akademiker, vielleicht Aufschluß geben könnte. Ich bin mir bewußt, wie schmerzlich die Sache für Euch sein muß, aber …« Damit verlor sich seine Stimme.
    Tau Pan-te gab keine Antwort, er war in tiefes Nachdenken versunken. Endlich schien er einen Entschluß gefaßt zu haben. Er hob die Augen auf und sagte gefaßt:
    »Mein Vater beging nicht Selbstmord, Euer Gnaden. Er wurde ermordet. Dieses Wissen hat einen dunklen Schatten auf mein ganzes Leben geworfen, einen Schatten, der erst weichen wird, wenn es mir gelungen ist, den feigen Mörder gefunden und den Gerichten überantwortet zu haben. Denn ein Sohn soll nicht unter demselben Himmel leben wie seines Vaters Mörder.«
    Er machte eine Pause. Seinen Blick in die Ferne richtend, fuhr er fort:
    »Ein Junge von zehn Jahren war ich, als es geschah. Noch jetzt ist mir die Erinnerung an jede Einzelheit wach, nachdem ich sie immer wieder überdacht

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