Richter
von mir, der isst so was!«, sagte Nicolosi irgendwann.
»Bene. Gebt ihn ihm, er möge ihm munden! Also, Signori, wo waren wir stehengeblieben?«
»Ehrlich, der Mann macht mir Angst. Der hat was an sich, das kommt mir ganz unmenschlich vor«, gestand Richter Moresco seinem Kollegen Consolato auf dem Nachhauseweg. Da sie fast Nachbarn waren, pflegten sie ein Stück Weges gemeinsam zu gehen.
»Mir macht er auch Angst, und zwar gehörig!«, sagte Consolato. »Dieser Teufelskerl ist imstande und lächelt angesichts einer Todesdrohung! Wir waren am Boden zerstört, nicht etwa er. Er hat reagiert, als ob er ein Geschenkerhalten hätte, das er leider Gottes nicht annehmen darf. Dio mio, welch eine Zähigkeit! Was für ein übermenschlicher Mut!«
»Nennen wir’s beim Namen«, meinte Moresco. »Richter Surra ist das, was man einen Helden nennt.«
»Da bin ich ganz deiner Meinung«, schloss Consolato.
Was hatte sich diese Pippina bloß in den Kopf gesetzt? Wollte sie jeden lieben Tag was Neues kochen und ihm die gesamte sizilianische Küche vorführen? Die Pasta mit Sardinen war zum Fingerlecken gut, er vergaß schier die Lust auf Lämmerkopf. Mittagessen, Abendessen, dazu die Cannoli ... Er würde sicher dick und rund ins Piemont zurückkehren.
Am Ende seiner Mahlzeit brachte ein Bote ein Billett vom Präfekten. Er wurde zu drei Uhr nachmittags in die Präfektur gebeten, da seine Exzellenz, der Senator Pasquale Midulla, nicht nur Abgeordneter des Wahlkreises Montelusa war, sondern auch Untersekretär im Justizministerium, der nach einem kurzen Besuch bei seinen Wählern und vor der Heimkehr nach Rom über den Stand der Dinge bei Gericht informiert zu werden wünschte.
»Macht es Euch doch in diesem kleinen Salon bequem«, sagte der Präfekt. »Hier könnt Ihr ungestört reden.«
Und ging hinaus.
Richter Surra fühlte sich verpflichtet, nicht erst die Fragen des Senators abzuwarten, sondern gab ihm von sich aus einen detaillierten Abriss über den Stand derRenovierungsarbeiten und kündigte an, dass das Gericht in spätestens einer Woche, wenn auch zunächst nur teilweise, seine Arbeit würde aufnehmen können.
»Wonach der schwierigste Teil kommt«, sagte der Senator.
»Warum das?«, fragte der Richter etwas verwundert.
»Ich meine, für Euch«, präzisierte der Senator.
»Für mich? Das Schwierigste ist dann überwunden, später geht es darum, die normale ...«
»Normale? Hört, Herr Richter, ich wollte Euch auf den Umstand hinweisen, dass Sizilien nicht das Piemont ist.«
»Das weiß ich sehr wohl«, meinte der Richter pikiert.
»Lasst es mich klarer sagen. Hier bei uns sind die Dinge nicht immer so, wie sie scheinen. Bei Euch ist es anders. Bei Euch ist das Weiße weiß und das Schwarze schwarz. Bei uns herrscht Grau vor.«
»Seltsam«, meinte der Richter. »Ich dachte, das Gegenteil wäre der Fall. Kein einziger Regentag, seit ich hier bin. Diese Sonne sorgt für scharf gezeichnete Schatten.«
Der Senator sah ihn perplex an. Hatte er das wirklich nicht begriffen, oder tat er nur so? Aber der Blick des Richters war so rein, dass ...
»Ich will versuchen, mich besser verständlich zu machen. Als Ippolito Nievo mit Garibaldi in Sizilien an Land ging und unsere Freiheitskämpfer in der Schlacht sah, bezeichnete er sie einer ersten Regung folgend als wütende Wilde. Dann änderte er seine Meinung, denn er begriff, dass es sich um einen ins Äußerste getriebenen Mut handelte, aus dessen Sicht der Tod geradezu der erstrebenswerteste Lohn war. Ich will damit Folgendessagen: Bestimmte Verhaltensweisen, die auf den Nicht-Sizilianer regelrecht kriminell wirken können, werden hingegen oft von einem tiefen Sinn für Ehre und Gerechtigkeit diktiert, einer Gerechtigkeit, die leider nicht immer mit derjenigen des Gesetzes übereinstimmt.«
»Wenn sie mit der des Gesetzes nicht übereinstimmt, kann ich sie schwerlich als Gerechtigkeit anerkennen«, sagte der Richter in aller Schlichtheit.
»Was habe ich Euch gesagt? Dieses Verhalten ist schwer zu erklären und womöglich ganz und gar unbegreiflich für jemanden, der nicht unsere Mentalität hat. Ich will Euch ein weiteres Beispiel nennen. In jüngeren Jahren hat es bei uns an allem gemangelt, an Regeln, an Gesetzen, kurz, an Staatlichkeit. Wir wären der schlimmsten Unordnung anheimgefallen, dem Chaos, hätten nicht einige Männer voll guten Willens die Ärmel hochgekrempelt und die Pflicht auf sich genommen, einige Regeln aufzustellen und für ihre Einhaltung zu
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