Richtig verbunden
verlieren, und mal mit einer Leidenschaft, die den ganzen Körper in Brand gesetzt hatte.
Christinas Augenlider fielen zu. Lindas Gesicht tauchte in ihrer Vorstellung auf. Wie sie halb bekleidet vor ihr stand. Schüchtern und doch entschlossen. Oder ihr Gesichtsausdruck, als sie kam. Wie sie sich die Augen zuhielt bei beängstigenden Szenen während des Films oder den Löffel beim Eisessen genüsslich ableckte.
Christina öffnete die Augen wieder und schüttelte den Kopf. Sie war doch kein verliebter Teenager. Erstens war sie über dreißig und zweitens nicht verliebt. Wie hätte das auch möglich sein sollen? Sie hatte mit der Frau keine vierundzwanzig Stunden verbracht und die meiste Zeit nicht mal geredet. Und Liebe auf den ersten Blick gab es nicht. Warum dachte sie über diese ganze Sache überhaupt nach? Was geschehen war, war geschehen.
Christina schüttelte den Kopf und faltete weiter ihre Handtücher. Hoffentlich würde bald ein weiterer, zur Abwechslung einträglicher Anruf kommen.
* * *
»Und dann ist da noch Christian.«
Linda blinzelte. »Wer?«
Ihre Patientin Miriam Behringer schaute sie über den Rand ihrer Brille hinweg an. »Christian. Mein Freund.«
»Ach ja. Natürlich. Was ist mit ihm?« Lindas Gedanken waren wie so oft in letzter Zeit bei Christina gewesen und im ersten Moment hatte sie gedacht, dass Frau Behringer ›Christina‹ gesagt hatte. Konzentrier dich, verdammt.
»Letzte Nacht. Wir hatten gerade, na ja, Sie wissen schon, da schaut er auf einmal zu mir rüber und sagt ›Nächstes Mal will ich aber oben liegen, du hast ganz schön zugelegt.‹.«
Linda verzog keine Miene, obwohl auch sie bemerkt hatte, wie sehr ihre junge Patientin in den letzten Monaten zugenommen hatte. Hauptsächlich, weil sie ihre Liebe für Ben & Jerry‘s Eiscreme mehr als übertrieb. »Was haben Sie gefühlt, als er Ihnen das gesagt hat?«
Die Patientin schnäuzte sich laut die Nase. Anschließend starrte sie Linda an. »Wie hätten Sie sich denn dabei gefühlt?«
»Vermutlich verletzt.«
Frau Behringer verschränkte die Arme vor der Brust. »Ja. Genauso hab ich mich gefühlt.«
Linda lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. »Und wie haben Sie reagiert?«
»Ich bin aufgestanden und hab in der Küche erst mal ein leckeres Eis gegessen. Danach ging‘s mir besser.«
Na super. Linda widerstand nur schwer der Versuchung, die Augen zu rollen. »Wir haben darüber schon mehrfach gesprochen«, sagte Linda in ihrer ruhigen, professionellen Stimme. »Sie wissen doch, es handelt sich bei dem Eis lediglich um einen Ersatz für etwas.«
Frau Behringer gestikulierte wild. »Das weiß ich. Aber es schmeckt gut und beruhigt mich.«
»Was beruhigt Sie denn sonst noch?«
»Nichts.«
Linda holte tief Luft. »Was haben Sie früher gemacht, wenn Sie gestresst waren? Also bevor Sie sich mit Eiscreme beruhigt haben.«
Frau Behringer machte einen Schmollmund. »Weiß nicht.«
Linda beugte sich nach vorne, ergriff ihre Tasse und nahm einen großen Schluck Tee. Manchmal glaubte Linda, Frau Behringer wollte gar keine Hilfe. Immer wieder schaltete sie auf stur. »Denken Sie doch mal darüber nach.« Ihr Blick fiel auf die Wanduhr über der Zimmertür. »Oh, die Zeit ist schon wieder um. Denken Sie bis nächstes Mal darüber nach, was Sie früher beruhigt hat. Wir haben einen Termin?«
»Ja. Wieder um 19 Uhr, nächste Woche Donnerstag.«
»Super. Kommen Sie gut nach Hause.«
Frau Behringer nickte.
Beide standen auf und Linda schüttelte ihrer Patientin die Hand. Anschließend begleitete sie Frau Behringer zur Tür und blieb dann allein in ihrem Büro zurück.
Wie fast immer im vergangenen Monat, wenn sie mal nicht arbeitete, wanderten ihre Gedanken zu Christina. Was sie jetzt wohl gerade tat? Arbeiten? Ob es für Christina dasselbe war, Telefonsex oder wirklichen Sex für Geld zu haben? Quatsch. Natürlich ist es was anderes. Oder?
Christina schien die gemeinsamen Stunden ebenso genossen zu haben wie sie selbst. Andererseits konnte Linda auch nur vor die Köpfe sehen und nicht hinein. Ständig sagte sie sich, ihre Sehnsucht, die sie nach Christina verspürte, sei in Wahrheit lediglich eine Sehnsucht nach Nähe und Sex. Linda schüttelte den Kopf. Du bist nicht anders als deine Patienten. Du belügst dich selbst. Sie vermisste Christina. Ihr Lachen, ihren Blick, ihre Art zu gehen, zu sprechen und ihre spielerische Seite. Zwischen ihren Liebesspielen hatten sie herumgealbert und das vermisste Linda genauso. Wie konnten
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