Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Riedripp: Kriminalroman (German Edition)

Riedripp: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Riedripp: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Boenke
Vom Netzwerk:
musste, um den echten Henkersknoten zu haben. Das war wichtig, dass er echt ist, denn nur der echte Henkersknoten beherrscht das tödliche Kunststück, beim abrupten Abbremsen das Genick zu brechen. So hatte er es im Internet recherchiert. Das war wirklich wichtig, er wollte nicht ersticken, außerdem sah der Henkersknoten auch besser aus. Tobi wurstelte mit dem Seilende hin und her, aber die Erinnerung kehrte nicht mehr zurück.
    »Scheiße, nichts klappt, nicht einmal das Verrecken! Dann halt nicht!«
    Lange saß er auf dem Ast und dachte an nichts, in seiner Seele war Dunkelheit, sein Gemüt war narkotisiert. Er senkte die Lider.
    Verärgert, gegen eine neue Tränenflut ankämpfend, betrachtete er aus verschwommenen Augen das Seilende. Er überlegte noch einmal, ob er das ganze Unternehmen rückgängig machen sollte. Er ließ das Seilende wie einen Propeller kreisen.
    »Dann halt nicht!«
    Wenn es so nicht ging, würde er einfach einen ganz normalen Knoten machen. Komisch, er dachte schon wieder an Bönle, in den letzten Minuten seines Lebens dachte er an Bönle, seinen eigenartigen Relilehrer. Was hatte der immer gepredigt, vor allem vor den Klassenarbeiten? Wenn das Komplizierte, das Perfekte nicht funktioniert, dann heißt es eben improvisieren. Lieber pfuschen als gar nichts tun.
    Also, auch hier kein großes Theater um den perfekten Henkersknoten, scheißegal, nur einen simplen Standardknoten. Schließlich geht es ja nicht um einen Henkersknoten-Schönheitswettbewerb, sondern darum, dass man schnell stirbt. Tobi ließ seinen Blick noch einmal zur Straße hin schweben. Ein kleiner roter Traktor mit einem Anhänger voll mit dampfendem Mist stotterte gemütlich in Richtung Riedhagen.
    Tobi legte sich das Seilende um den Hals, schätzte die Länge ab, nahm es wieder vom Kragen weg, band einen soliden Einfachknoten, zog sich die Schlinge über den Hals und sprang.
    Das Letzte, was Tobi durch die toten Äste der Kiefer sah, war ein kleines, rotes Auto, das sich sehr schnell von Riedhagen her bewegte.
    Das Letzte, was Tobi roch, war der Duft der Herbstwiese.
    Das Letzte, was Tobi sagte, war Vaterunser.
    Das Letzte, was Tobi hörte, war ein kurzes, knackendes Geräusch.

22 Rauschopfer
    Das Buch der Sprichwörter
    31:6 Gebt berauschenden Trank dem, der zusammenbricht, und Wein denen, die im Herzen verbittert sind.
     
    Sie war, nachdem sie eine Nacht in einer halb zerfallenen Kapelle übernachtet hatte, unschlüssig und verzweifelt ziellos durch das Ried gestrichen, um nachzudenken. Als sie sich noch einmal vergewissert hatte, dass sie keine Spuren in der Holzarbeiterhütte zurückgelassen hatte, zog sie mit ihrem schweren Rucksack in nordwestlicher Richtung los. Der dunkle Blick des Totenschädels verfolgte sie jedoch mit jedem Schritt. Verstört ging sie immer weiter ins Ried hinein, eigentlich wollte sie Richtung Ostrach. Dort hatte sie schon einmal übernachtet, in einem großen Reitstall. Immer wieder musste sie umkehren, weil die Pfade zu morastig waren. Dann kreuzte auch noch ein Bach ihren Weg und sie ging an ihm entlang, bis sie rechts hinter einer grünen Ebene die Spitze eines Kirchturms entdeckte. War das Riedhausen oder schon Wilhelmsdorf? Riedhagen konnte es nicht sein. Ostrach hatte einen anderen Kirchturm und den konnte man vom Ried aus sowieso nicht sehen. Sie hatte die Orientierung verloren. Panik stieg in ihr auf.
    Der Bach war in einen größeren gemündet, und nun lief sie einen Wanderweg entlang, neben ihm verlief dunkel ein drohender Kanal. Ihm folgte sie bis zu einem kleinen Parkplatz neben der Riedallee. Sie wusste wieder, wo sie war, hier wollte sie bestimmt nicht hin. Erschöpft ließ sie sich auf einer bemoosten Holzbank nieder. Ihren großen Rucksack stellte sie neben sich. In ihrem grünen Parka und dem karierten Hemd, mit ihren derben Wanderstiefeln sah sie wie eine typische Riedfreundin aus. Sie wusste, dass nur ihr Verstand sie aus der misslichen Lage retten konnte, fliehen wollte sie nicht, noch nicht.
    Als der weiße VW-Bus schaukelnd auf der welligen, riedgeschädigten Straße vorbeifuhr, senkte sie ihren Kopf. Als sie die Aufschrift auf dem Kleinbus sah, hatte sie die Idee.
    »Die verrücktesten Ideen funktionieren am besten«, murmelte sie.
    Auf dem vorübersausenden, wankenden Bus hatte sie gelesen: … Zieglerschen …, und sofort war ihr die Idee gekommen.
    Sie hatte sie schon oft gesehen, die Männer, die den Riedlehrpfad entlanggingen oder auf einer der vielen Bänke

Weitere Kostenlose Bücher