Riedripp: Kriminalroman (German Edition)
würde. Das sei meine Bürgerpflicht, ich kann mich sogar strafbar machen.«
»Ist ja schon gut, Mama, wir haben verstanden.«
»Die Butter kommt gleich, Tobi, und ich bring noch Brot.«
20 Minuten später standen wir auf der sogenannten Bühne unter dem Dachstuhl. Cäci hatte aus den Schränken alles, was passte, herausgeholt. Wichtig war, dass jeder von uns ungefähr gleich verkleidet war. Die Auswahl fiel auf drei alte, weiße Nachthemden, die wir über unserer Kleidung trugen und mit einem dunklen Gürtel taillierten. Darüber kamen schwarze Strickjacken, die wahrscheinlich winterliche Klöppelarbeiten unserer weiblichen Altvorderen waren. Das war fast schon alles. Unsere Häupter zierten schwarze Langhaarperücken. Die Gesichter schminkten wir uns vor einem fast blinden, holzgerahmten Spiegel bleich. Wir sahen unheimlich und albern aus.
»Das ist Erpressung, aber wir haben keine Wahl.«
Tobi grinste, als er an sich hinunterblickte, und murmelte:
»Ich finds voll daneben, so oft habe ich an einem Tag noch nie lachen und weinen müssen.«
Gerührt schaute ich zu Tobi, irgendwie bewunderte ich ihn.
»Und dann machen wir es so, dass wir an unterschiedlichen Orten auftauchen. Wenn jemand uns bemerkt hat, verstecken wir uns halt wieder. Der nächste zeigt sich dann irgendwo und so weiter, dass es so aussieht, wie wenn das Riedweible innerhalb von Sekunden an einem anderen Ort sein könnte«, flüsterte Cäci.
»Warum flüsterst du?«
Tobi betrachtete sich im Spiegel:
»Eigentlich wäre ich jetzt tot und nun lauf ich als Geist im Ried herum, das ist ja echt geil. Living ghost.«
Wir mussten lachen, auch Tobi.
»Projekt living ghost!«
»Wir müssen noch Taschenlampen mitnehmen, damit wir uns Zeichen geben können. Und zur Orientierung.«
»Ja, aber wir spannen weißen Stoff davor, dass es gruseliger aussieht.«
Nachdem wir Signale ausgemacht hatten, starteten wir zu unserer Mission living ghost. Frieda hatte Cäcis Wagen hinter der Gastwirtschaft geparkt. Von dort führte ein landwirtschaftlicher, von dichten Hecken umsäumter Weg direkt in die Riedebene. Dahinter lag das Biotop mit seinen Wanderwegen und dem Riedlehrpfad.
26 Geisterrunde
Das Buch Ijob
4:15 Ein Geist schwebt an meinem Gesicht vorüber, die Haare meines Leibes sträuben sich.
Gymnasialoberstudienrat Sigbert Steinecke aus Mülheim an der Ruhr war mit seinem Wohnmobil, seiner Gattin und seinen beiden Kindern schon am Freitagmorgen gestartet. Er hatte seinen freitäglichen Latein- und Biologieunterricht über die Woche verteilt vorverlegt, um den traditionellen Staus auf der A8 und der A5 zu entgehen. Nach sieben Stunden hatte er sein Ziel, die Badstadt Saulgau, erreicht. Dort hatte er sich einen Stellplatz vor der Therme reservieren lassen. Wie es Tradition war, ging er mit seinen Kindern zuerst in den Eingangsbereich der Therme. Jeder musste nun einen Schluck des nach faulen Eiern stinkenden Wassers aus dem dampfenden Brunnen nehmen. Die Kinder ekelten sich wie immer, die toupierte Gattin dachte sich ihren Teil.
Sigbert streckte sich:
»So, nun ist Urlaub. Kinder, ihr dürft euch ein Eis holen, der Papa informiert sich zuerst.«
An der Rezeption holte er sich die Schwäbische und stellte sich neben seine Kaffee schlürfende Gattin an eines der Stehtischchen neben der Eistheke.
»Ich weiß, wo wir heute Abend essen werden. In der Riedwirtschaft.«
Seine blond toupierte Gattin schaute ihn über den Rand der Kaffeetasse hinweg fragend an:
»Wir gehen doch jedes Jahr ins Ried.«
»Aber nicht zum Essen. Das scheint sich dieses Jahr zu lohnen, das ist auch was für die Kinder.«
Er zeigte ihr das Inserat: Gruselessen! Besuchen Sie unsere Riedwirtschaft! Mords-Portionen!
Bestellen Sie Ihre Henkersmahlzeit bei uns! Es unterhält Sie Alleinunterhalter Konstantin Knochen. Zum Totlachen!!! Öffnungszeiten neun Uhr bis Geisterstunde plus!
Der Steinecksche Nachwuchs, Traute, 12, und Karsten, 10, war begeistert. Die Gattin zupfte am Toupierten.
Weil die Riedwirtschaft überfüllt war, saßen sie nun direkt unter der funzeligen Elektro-Laterne im Goldenen Ochsen in der Gartenwirtschaft. Und weil die Kinder um ihr Gruselessen gebracht worden waren, hatte Sigbert, um sie zu entschädigen, aus dem Wohnmobil die Droste geholt. Nun las er im trüben Schein der Beleuchtung den quengelnden Kindern vor:
»So hört mal gut zu und zappelt nicht so rum, ich habe da ein ganz spannendes und gruseliges Gedicht für euch von der Annette von
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