Riedripp: Kriminalroman (German Edition)
sterben.
Doch wenn man sie gar nie finden würde? Das ist doch kein Grab für einen Menschen, so verscharrt man nicht einmal ein Stück Vieh. Als das erste Lamababy tot geboren wurde, da hatte sie es auch begraben, obwohl es nicht erlaubt war. Sie hatte auf der Weide einen kleinen Stein aufgestellt. Sie wollte auch einen Stein, einen schönen Naturstein auf dem Friedhof mit ihrem Namen: Hildegard Knaus 19.05.1974 bis irgendwann. Sie wollte, dass Freunde und die Eltern ihr Grab besuchten. Bestimmt würden sie nicht regelmäßig kommen, sie ging selbst nur noch selten zum Grab ihres geliebten Opas. Aber sie wusste, wo er lag, und zwei-, dreimal im Jahr besuchte sie ihn und stellte ihm gelbe Blumen hin. Und sie wollte, dass auf ihrem Grab auch immer frische, gelbe Blumen stünden. Sie wollte einen Ort haben, den die Leute, die sie mochten, kannten. Die Erinnerung an sie würde viel schneller verloren gehen, wenn da kein Kreuz, kein Stein wäre.
Hilde war nie besonders religiös, geschweige denn regelmäßige Gottesdienstbesucherin, obwohl der Gruppendruck im kleinen Dorf groß war. Bis jetzt war sie stolz, diesem Druck Stand gehalten zu haben.
Trotzig faltete sie ihre kalten, weißen Hände ineinander. Zitternd sprach sie:
»Vater unser, der du bist …«
Nachts schreckte sie immer wieder hoch, wenn der kurze Schlaf durch das Eintauchen ihres Kopfes ins dunkle Wasser jäh unterbrochen wurde. Sie schrie dann ihre ganze Not ins nächtliche Ried hinein, bis sie heiser war. Das Ried hatte kein Erbarmen, ihr Schreien wurde gedämpft. Und wenn es dann doch einmal auf ferne Ohren traf, so wurde es falsch gedeutet.
Das Wasser im moorigen Loch hatte zwei Gesichter für sie: das lebenserhaltende, durstlöschende und das böse, kühle, das todbringende. Immer wieder rief sie ihre Ohnmacht ins weite Ried hinein. Irgendjemand musste sie doch hören!
Einmal vernahm sie ein Geräusch ganz in ihrer Nähe. Es war ein Fuchs, der neugierig schnuppernd in ihr todbringendes Gefängnis äugte. Sie freute sich und redete weinend mit ihm, so wie man mit einem Kind redet, bis er verunsichert verschwand.
»Bleib!« schrie sie, »bleib doch!«
Dann summte sie leise vor sich hin, wie sie es von ihrer Mutter im warmen Bett gelernt hatte:
»Guten Abend, gute Nacht,
Mit Rosen bedacht,
Mit Näglein besteckt,
Schlupf unter die Deck’
Morgen früh, wenn Gott will,
Wirst du wieder geweckt.
Guten Abend, gute Nacht,
Von Englein bewacht,
Die zeigen im Traum
Dir Christkindleins Baum.
Schlaf nun selig und süß,
Schau im Traum’s Paradies.«
Dann spürte sie den warmen Kuss ihrer Mutter.
32 Beichtbedrängnis
Das Buch der Sprichwörter
28:13 Wer seine Sünden verheimlicht, hat kein Glück, wer sie bekennt und meidet, findet Erbarmen.
28:14 Wohl dem Menschen, der stets Gott fürchtet; wer aber sein Herz verhärtet, fällt ins Unglück.
28:17 Ein Mensch, auf dem Blutschuld lastet, ist flüchtig bis zum Grab; man halte ihn nicht.
28:18 Wer schuldlos seinen Weg geht, dem wird geholfen, wer krumme Wege geht, fällt in die Grube.
»Hallo Cäcilia, hallo Dani, gehta es euch gut, habta kurza Zeit?«
»Hallo Deo, du siehst bleich aus.«
Deodonatus Ngumbu winkte meinen Spaß ernst ab, er wirkte sehr nervös und reichte uns zur Begrüßung seine riesige, rechte Hand.
Deo, wie ihn seine Freunde nannten, war aus Nairobi und nun seit über drei Jahren in Riedhagen und weiteren umliegenden Gemeinden Vertretungspfarrer. Sonst besaß der riesige 110-Kilo-Geistliche, der immer in Soutane unterwegs war, ein sonniges Gemüt und einen feinsinnigen Humor. Heute wirkte der stattliche Massai weder sonnig noch humorvoll.
Bevor er bei uns am Tisch saß, hatte die geschäftstüchtige Wirtin ihm ein Glas vom hellen Gerstensaft kredenzt.
»Wohl bekommts, Herr Pfarrer! Was wollte denn die Kommissarin von euch?«
Cäci machte eine hektisch fuchtelnde Handbewegung und sagte ohne Stimme: »Später.« Frieda verstand und drehte leichtfüßig bei.
Deo beugte sich mit seiner mächtigen, dunklen Brust über den Tisch und führte seinen Zeigefinger an seine vollen Lippen:
»Bitta, ihr dürft keina Mensch eina Wort saga, ich bin in großa Gewissakonflikt.«
Das kannte man von Deo nicht, dass er, der große, sensible Mann einfach hereinpolterte, ohne ein paar Späßchen zu machen. Das Weiß seiner Augen wirkte riesig, als er stammelte:
»Entschuldigung, ich mussa mit jemand reda, aba ich darf nicht!«
Cäci legte ihm ihre schmale, helle Hand auf
Weitere Kostenlose Bücher