Riemenschneider
Blick zur Sonne. »Und jetzt ist es bereits Nachmittag. Für genau einen Monat hab ich mich verpflichtet, also hab ich schon ein paar Stunden mehr den Bauern gedient als verabredet. Bin also wirklich großzügig, wie es sich für einen Ehrenmann gehört.«
»Das wage ich nicht zu bezweifeln.« Thoma sah ihn von der Seite an. »Ihr plant doch irgendetwas?«
»Der Truchsess treibt uns vor sich her. Wird nicht mehr lange dauern, und es kommt zur Entscheidung.« Die Stimme nahm einen weisen, abgeklärten Ton an. »Ich denke, es ist höchste Zeit, dass ich als guter Herr deine innigen Gebete erhören sollte.«
Bei Anbruch der Dämmerung befahl Götz zehn der tüchtigsten Männer zu sich. »Wir müssen in der Gegend neue Leute anwerben.« Er befahl aufzusitzen, hinterließ dem obersten Bauernrat einen Brief und trabte an der Spitze des kleinen Trupps aus dem Lager. Nach einem Ritt von gut einer Stunde änderte er die Richtung. »Wir halten auf den Neckar zu. Dann geht’s weiter nach Burg Hornberg.« Keiner der Männer widersprach. Sinterius schwenkte die Kappe, neben ihm bekreuzigte sich Thoma, blickte zu den Sternen und flüsterte: »Großer Gott hab Dank, dass du meinem Herrn zur rechten Zeit den Mut genommen hast.«
Unzufriedenheit, Langeweile herrschten im Lager zu Heidingsfeld. Das erfolglose Beschießen und Erstürmen des Schlosses hatte den Fränkischen Haufen zermürbt. Selbst in der Schwarzen Schar gärte der Unmut. Und da ihr Feldhauptmann Florian Geyer vor Tagen schon auf den Landtag nach Schweinfurt geritten war und niemand mehr straff die Zügel in der Faust hielt, breiteten sich Rohheiten untereinander und übermäßiges Saufen auch in dieser disziplinierten Truppe von Tag zu Tag mehr aus.
In Würzburg waren nur einige Hauptleute des Bauernrats zurückgeblieben, und diese griffen in ihrer Ratlosigkeit nach jedem Strohhalm, der Rettung versprach. Am Mittwoch, dem 31. Mai, trat ein Unterführer im Grafeneckart vor sie hin: »Ich könnte mich ins Lager der Bündischen schleichen.« Dort wollte er etliche Landsknechte bestechen und sie als Verstärkung nach Würzburg führen. »Für dieses gefahrvolle Unternehmen benötige ich 60 Gulden.«
»Bewilligt. Eine sehr gute Idee. Viel Glück, Bruder.«
Eilfertig ritt der Mutige aus der Stadt und entschwand mit der reichen Beute in nördlicher Richtung.
»Wenn wir überleben wollen, müssen die letzten Kräfte in Würzburg mobilisiert werden. Ein eigenes Heer muss gebildet werden.« Dieser Vorschlag des Kommandierenden wurde von den Kollegen im Bauernrat begeistert aufgenommen. Die anwesenden Bürgermeister und Stadträte sahen sich betroffen an.
Unbeirrt erläuterte der Hauptmann weiter: »Nicht nur Freiwillige. Jetzt sollen auch die Pfaffen sich rüsten und persönlich in den Kampf gegen das bündische Heer hinausziehen.«
Nachdem die Order trotz Einspruch der Stadtväter genau formuliert war, musste Martin Cronthal sie unverzüglich weiterleiten.
Im Kapitelsaal drängten sich die Domherren. Vor ihnen rückte der Stadtschreiber die Brille zurecht. »Aufgrund eines einstimmig im obersten Bauernrat gefassten Beschlusses ergeht folgender Befehl …«
Die Gesichter der Hirten liefen rot an, wurden fahl und blass. Nach dem Verlesen herrschte Stille. Endlich hob Domherr Paulus Schroter verzagt die Hand. »Ich versteh doch richtig: Jeder von uns soll vom eigenen Geld einen Bewaffneten ausrüsten und ihn den Bauern zur Verfügung stellen?«
»Leider nein. Ausdrücklich sind die Herren vom Domkapitel persönlich gefordert. So gern es auch Bürgermeister und Stadtrat verhindert hätten, aber sie waren machtlos.«
Flüche wurden laut. Dann schrien und spuckten die Herren ohne Hemmung ihre angestaute Verzweiflung dem Stadtschreiber entgegen. Sie waren in den vergangenen Wochen erniedrigt, geschmäht und ausgeraubt worden. Schuld an ihrem Unglück trugen nicht allein die unverschämten Bauern, nein, auch Bürgermeister und Stadtrat hatten versagt, hatten sie im Stich gelassen. Paulus Schroter wurde vom frommen Nachbarn zur Seite gedrückt, und der kam mit geballter Faust auf Martin Cronthal zu. »Zur Hölle mit all den Bauern, in ewiger Verdammnis sollen sie brennen.«
»Bitte beruhigt Euch!« Vorsorglich trat Martin einen Schritt zurück, doch Domherr Michel von Seinsheim drängte nach, bedrängte. Erst als sich hinter ihm die Erregung langsam legte, ließ auch er die Arme sinken. »Bei Gott, ich hoffe, dass unser gnädiger Herr bald zurückkommt. Damit endlich die alte Ordnung
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