Riesling zum Abschied
einem Gegner gerechnet, der sich wehrte. Er sah Thomas dumm an, duckte sich – und hielt ein Messer in der Hand.
Meister Yakumi, dachte Thomas, was hast du uns beigebracht? »Steh tief und leicht. In der Atmung liegt die Kraft. Sei des Sieges sicher. Benutze die Kraft deines Gegners!« Thomas hörte sich selbst diese Worte sprechen, sein Gegner hatte sie gehört, er stutzte, dann war nur das Messer zwischen ihnen. Thomas hatte keine Angst. Er war so ruhig, als sei das hier eine Trainingsstunde, und glaubte zu schweben.
Aus den Augenwinkeln bemerkte er, wie sich einer der am Boden liegenden Männer aufrappelte. Es verbot sich, auf einen Liegenden einzuschlagen oder ihn zu treten, den Messerstecher im Auge behaltend und sich schnell die Jacke ausziehend wartete Thomas, bis der Angreifer sich am Kühler eines Autos hochgestemmt hatte, dann erst trat er ihm wieder die Beine unter dem Körper weg. Wohin er fiel, sah Thomas nicht mehr, denn der Messerstecher griff an. Seine Hand war da, die Klinge war hell, kam auf ihn zu, der von unten geführte Stoß ging ins Leere, die Hand verfing sich in der herumgewirbelten Jacke, damit war die Deckung offen, und Thomas rechter Ellenbogen krachte ihm seitlich gegen das Kinn, sein Knie traf den Unterleib, und er stürzte auf ihn. Das Messer rutschte mit einem Scheppern unters nächste Auto.
|272| Thomas war sofort wieder auf den Beinen und hätte beinahe in einer spontanen Geste die Hand ausgestreckt, um dem Messerstecher aufzuhelfen, als er dessen Augen sah, diese stumpfen Augen voller Hass. Der galt nicht ihm, der galt wahrscheinlich einem beschissenen Leben und allen, die darin vorkamen. Von irgendwoher näherte sich eine Polizeisirene. Da war auch der Angreifer auf den Beinen, rannte zwei Schaulustige um, durchbrach den Ring der Gaffer und verschwand.
Thomas suchte benommen in den Jackentaschen nach seinem Mobiltelefon.
»Das habe ich schon erledigt«, meinte eine große junge Frau mit schulterlangem dunkelblonden Haar und einem rauen Akzent, den Thomas für osteuropäisch hielt. Sie trat aus dem Ring der Gaffer heraus und lächelte ihn an, besorgt, aber auch bewundernd, und hielt ihm ein Taschentuch hin.
Thomas starrte sie an, nahm das Taschentuch mit der linken Hand, wusste nichts zu sagen, dann sah er die beiden Gestalten am Boden. Hatte dieses Mädchen mit dem feinen Gesicht etwas mit denen zu schaffen? Als er sein »Danke schön« murmelte, kam sie vorsichtig näher, nahm ein zweites Taschentuch und bedeutete ihm, sich herunterzubeugen, damit sie ihm das Blut aus dem Gesicht wischen konnte. Das Tuch war aus Stoff und hatte einen gehäkelten Rand.
Er sah ihre blauen Augen, ihren feinen Mund, er sah die Hände, wie sie seinen Kopf langsam drehten.
»Ich habe alles gesehen«, sagte sie leise und tupfte vorsichtig um die Wunde herum. »Ich kann ein Zeuge sein.«
Die Wortwahl ließ ihn grinsen, als Nächstes nahm er ihren Geruch wahr, das erfrischende Parfüm, schlicht in der Komposition, nicht teuer, nicht aufdringlich, aber schön. Da packte ihn jemand von hinten, riss ihm die Arme auf den Rücken, ein zweiter Mann in Uniform warf ihn gegen |273| den nächsten Wagen und trat ihm die Füße auseinander, sodass er breitbeinig mit der Brust gegen die Fahrertür fiel. Dann wurde er abgetastet. Vor Überraschung vergaß er zu protestieren.
Das aber tat das Mädchen für ihn. Sie ging handfest dazwischen, schlug mit ihrer Handtasche zu, zerrte an den Uniformen und beschimpfte die Polizisten. Andere Schaulustige mischten sich ebenfalls ein und hielten die Angreifer fest, die sich davonmachen wollten, und klärten die Beamten über die wahren Schuldigen auf. Jetzt reagierte Thomas, langsam wich der Druck, die Spannung fiel von ihm ab. Die beiden Polizisten hatten Angst, sie waren etwa in seinem Alter.
»Ich bin angegriffen worden, von denen da!«
»Er lügt«, schrie eine der Kapuzen, »er ist mit dem Messer auf uns los, er hat angegriffen, wir haben uns nur verteidigt!«
»Das stimmt nicht«, fuhr das Mädchen dazwischen. »Ich habe alles gesehen.« Sie bückte sich und zeigte auf das Messer unter dem Auto. »Da ist das Messer, damit hat ihn der andere, der weg ist, angegriffen.«
»Wer glaubt denn schon so ’ner Polenfotze«, tobte sein Komplize verächtlich los, die Kapuze war ihm vom rasierten Kopf gerutscht. »Aber dich kriegen wir auch noch, du Schlampe, dann nehmen wir dich ran.«
Die Polizisten hatten ihn losgelassen und wussten nicht, was sie tun
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