Riesling zum Abschied
habe.«
»Geht nicht, ist angeboren«, meinte Thomas trocken und breitete die Arme aus, um die Damen zum Gehen zu bewegen. »Man wartet auf uns.«
»Männer kann man nicht umerziehen«, sagte Johanna vermittelnd, »hören Sie auf den Rat einer erfahrenen Ehefrau.«
»Das merke ich gerade«, antwortete Regine halb ernst, halb im Spaß, und es schien, als spräche sie aus jüngerer Erfahrung.
Thomas begrüßte als Erster den Winzer und den Önologen, dann stellte er ihnen Johanna vor. »Wie schade, dass Sie beide Ihr Studium in Geisenheim längst abgeschlossen haben, sonst hätten Sie das Vergnügen gehabt, von dieser großartigen Dozentin unterrichtet zu werden.« Er berichtete kurz von ihrer gemeinsamen Arbeit auf dem Weingut in der Pfalz.
Regine und Künstler kannten sich vom Sehen, Hochheim war klein, und Regine wurde rot, als sie dem Winzer die Hand gab. Sicher kannte der Winzer den Vater und wusste, was von seinem Wein zu halten war. In seiner bescheidenen, aber auch bestimmten Art nahm er Regines Besuch als Kompliment.
Die beiden ehemaligen und die beiden aktuellen Geisenheimer verstanden sich sofort, auf dem gemeinsamen Hintergrund fanden sie eine Ebene, eine Sprache und eine |285| identische Werteskala. Es geschah das, was Johanna Thomas prophezeit hatte, sie fühlte sich ausgeschlossen. Sie musste zuhören und konnte fragen, dieser Nachmittag war für sie eine sensorische Übung in Verbindung mit einer Vorlesung.
Während sie in anderen Kellern viel Edelstahl gesehen hatte, waren hier die Gärfässer aus Holz, es waren Halb-, Stück- und Doppelstückfässer in bestem Zustand, die auch eine temperaturkontrollierte Gärung zuließen. Die vier Experten hatten sie rasch vergessen, sie sprachen von Gärfehlern, p H-Werten , von durchgegorenen Weinen und Restsüße. Beim Gang durch die Keller drehte sich ihr Gespräch um die gute Lagerfähigkeit des Hochheimer Rieslings, denn die hiesigen Weine ließen sich dank ihrer Kraft und Fülle viele Jahre lagern. Johanna hörte zu, sie fragte sich allerdings, ob diesen praktizierenden und den angehenden Önologen die Arbeit nie langweilig wurde.
Wieder an der Erdoberfläche, vielmehr in einer großen Halle, wurde der Boden zum Thema, man diskutierte die recht unterschiedlichen Lagen hier an der Mündung des Mains in den Rhein.
»... eine von Lösslehm geprägte und aus tertiären Sedimenten gebildete Bodenstruktur, mit Mergeln durchsetzt ...«, hörte Johanna jemanden sagen. Dann wieder war die Rede von kalkhaltigen Böden, ideal für Spätburgunder, wo ein guter Wasserhaushalt garantiert war. Was es in diesem Zusammenhang mit den Quellhorizonten auf sich hatte, entzog sich ihrem Verständnis, Geologie war nicht ihr Thema. Erleichtert folgte sie in den großen Probenraum. Bei Duft und Geschmack konnte sie wieder mitreden beziehungsweise sich auf ihr eigenes Urteil stützen.
Auf dem großen runden Tisch an der Seite des Raums standen acht Flaschen und die entsprechenden Gläser. Johanna bemerkte, wie Regine im Laufe des Gesprächs mehr Selbstsicherheit gewann. Thomas hatte sich ihr gegenüber anfangs noch etwas spröde gezeigt, aber auch ihn nahm die |286| Situation gefangen, beide fühlten sich als Kollegen ernst genommen und weniger als Studenten betrachtet. Es war etwas, das Johanna in dieser Branche immer wieder bemerkte, dass die Winzer, obwohl Konkurrenten, sich selten die Augen auskratzten. Wenn man jemanden wie Regines Vater zum Nachbarn hatte, war höfliche Distanz angebracht, und auch in den großen Handelshäusern war der Umgang härter, aber hier und heute fühlte sie sich wohl, sie fühlte sogar etwas wie Stolz darüber, wie
ihre
Studenten sich behaupteten.
Zum Erstaunen aller begann Künstler die Verkostung mit zwei Spätburgundern, beides Erste Gewächse der Lage Reichestal, der erste von 2007, der zweite von 1999 – ein spannender Vergleich. Beide Weine waren ähnlich und doch verschieden, der ältere war fein, weich und dichter, auch stärker im Duft, er zeigte mehr Eleganz. Dafür stand der Jüngere am Anfang seiner Entwicklung, er hatte schon Feuer und Kraft, die Ecken und Kanten würde die Zeit abschleifen. Ihr Volumen erreichten die Weine durch eine lange Vegetationsperiode bei gleichmäßigen Temperaturen, die Nord-Süd-Ausrichtung der Reben verschaffte ihnen mehr Licht.
Die trockenen Rieslinge danach waren stark genug, sich nicht von den Roten stören zu lassen. Der Riesling »Herrenburg« war ein zeitloser Genuss, der »Stein«,
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