Riesling zum Abschied
fertig bin, dann sind Sie vielleicht dran, Herr Achenbach.« Die Drohung war kaum zu überhören.
Der Hauptkommissar warf einen Blick auf das nächste Schriftstück, Thomas konnte den Titel nicht lesen, und legte es in den Karton. Mit einem zweiten und dritten Dokument verfuhr er genauso.
»Was packen Sie ein?«, fragte Manuel.
»Sie werden ja wohl den Inhalt Ihrer Schreibtischschubladen kennen, Herr Stern. Außerdem kriegen Sie eine Quittung.«
Manuel schüttelte nur den Kopf.
Auf dem Weg in die Küche rannte Thomas beinahe einen der Beamten um, der eine grüne Schlegelflasche vor sich hertrug, die sogenannte Rheingauer Flöte. Thomas musterte die unbekannte Flasche und sah dem Beamten nach, der mit Sechser flüsterte.
Thomas füllte Kaffee in den Siebhalter, stellte eine Tasse darunter und kehrte in Manuels Zimmer zurück. Er durfte sich nichts entgehen lassen.
»Ist das ein Wein, den Sie hier normalerweise trinken?«, wurde Manuel gefragt. Manuel griff nach der Flasche.
»Nicht anfassen«, sagte Sechser, der die Flasche lediglich mit je zwei Fingern am Flaschenboden und am Drehverschluss festhielt.
»Nein, den Wein kenne ich nicht.«
»Und Sie, haben Sie etwas mit diesem Wein zu tun?« Jetzt wandte sich Sechser an Thomas.
»Darf ich das Etikett bitte sehen?«
Die Flasche war ungewöhnlich. Das, was er von ihrem Weingut aus der Pfalz und Regine von ihrem Weingut mitbrachten, sah anders aus. Altensteineck, Riesling 2007, Spätlese, las er. Die Qualitätsbezeichnung Erstes Gewächs galt seit 1999 im Rheingau nur für Riesling und Spätburgunder aus klassifizierten Lagen, immerhin ein Drittel der gesamten |49| Fläche durfte sich mit diesem Prädikat schmücken, Thomas hielt es durchaus für berechtigt.
»Nie gesehen, den Wein habe ich nie probiert, und wie die Flasche in unsere Küche kommt, kann ich nicht sagen. Ich dachte, als ich sie im Kühlschrank sah, dass Regine sie mitgebracht hat ... wir müssten sie fragen.«
Um acht Uhr begann die Vorlesung in Weinchemie, sie behandelten gegenwärtig den biologischen Säureabbau, kurz BSA, und ob es sinnvoll war, ihn frühzeitig einzuleiten, ihn nachträglich durchzuführen oder spontan entstehen zu lassen oder gleichzeitig mit der alkoholischen Gärung. Das war auch für Regine wichtig und eine Pflichtveranstaltung. Thomas sah auf die Uhr. Es war jetzt sieben. Sie wird wach sein, sagte er sich, denn von Hofheim bis hierher fährt sie eine halbe Stunde.
»Ich werde mit ihr sprechen«, schlug er vor. »Sie kann es uns gleich sagen, dann wissen wir, woher die Flasche kommt.« Er wunderte sich, dass Sechser zustimmte.
Regine reagierte verschlafen und verärgert auf den Anruf, nein, eine Schlegelflasche hätte sie nicht angeschleppt, den Winzer kenne sie vom Hörensagen, aber seine Weine nicht, die Flasche müsse von Manuel stammen. Bevor sie das Gespräch beendete, murmelte sie noch etwas, woraus Thomas schloss, dass sie nicht allein war.
»Sie kennt die Flasche nicht, und sie stammt auch nicht von ihr«, erklärte Thomas. Ihre Vermutung verschwieg er vorsichtshalber. »Weshalb ist die Flasche wichtig?«
Sechser blieb die Antwort schuldig. »Ihre Fingerabdrücke haben wir, Herr Stern«, sagte er zu Manuel, »aber die der anderen nicht. Waren Sie mal in der Wohnung des Opfers?« Damit meinte er Thomas.
»Ich hatte nicht die geringste Veranlassung dazu, und eingeladen hat sie mich auch nicht. Da hätte sie sich lieber ...«
Manuels Blick ließ Thomas verstummen, Sechser hatte es registriert.
|50| »Sie war ab und zu bei uns zum Essen. Das habe ich Ihnen bereits beim ersten Verhör gesagt.«
»Und wenn ich Sie noch dreimal frage, werden Sie mir auch dreimal antworten«, meinte Sechser kalt. »Sie wissen, wo sie wohnte?«
»Klar – wir haben uns in der Mensa gesehen und auch zusammen gegessen.«
»Freiwillig?« Jetzt grinste Sechser Manuel herablassend an.
»Mehr auf seine Veranlassung hin«, antwortete Thomas. »Wenn man Vorlesungen zusammen besucht, geht man anschließend auch zusammen essen. Wer später kommt, setzt sich dazu oder bleibt bei seiner Clique. Das wird in der Polizeikantine genauso sein.«
»Woher wissen Sie, was in Polizeikantinen passiert?«
»Aus dem Fernsehen.« Thomas grinste. Mit der Antwort hatte Sechser nicht gerechnet. Nein, so schnell ließ Thomas. sich von dem Kriminalhauptkommissar nicht einfangen. Man musste es sich auf der Zunge zergehen lassen: Kriminal-Haupt-Kommissar. Und doch würde er ihm helfen, den Mörder zu
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