Rigor Mortis: Thriller Ein neuer Fall für Roy Grace (German Edition)
sich gelegentlich aus der Wasserschale, die auf den Holzbohlen stand.
In der Bar war Happy Hour, und im klimatisierten Innenraum wimmelte es von Briten, Amerikanern und Kanadiern im Exil, die einander meist kannten und sich jeden Freitagabend hier betranken. Tooth redete nie mit ihnen. Er redete ohnehin nicht gern. Er hatte Geburtstag und war damit zufrieden, ihn mit seinem Partner zu verbringen.
Er hatte sich selbst ein Geburtstagsgeschenk gemacht, indem er sich den Kopf rasiert und dann das schwarze Mädchen namens Tia gebumst hatte. Er besuchte sie fast jede Woche im Cameos Nachtclub an der Airport Road. Weder sie noch Yossarian interessierten sich für seinen Geburtstag, und das war auch gut so. Er interessierte sich ja selbst nicht dafür.
Aus der Bar erklang schallendes Gelächter. Vor einigen Wochen waren es noch Schüsse gewesen. Zwei Haitianer waren mit halbautomatischen Waffen hereingestürmt und hatten gebrüllt, alle sollten nach draußen auf die Terrasse laufen und ihre Brieftaschen hergeben. Ein betrunkener, bierbäuchiger englischer Rechtsanwalt in Blazer, weißer Flanellhose und Schulkrawatte hatte eine Glock Kaliber 45 gezückt und beide erschossen. Danach hatte er den nächsten Pink Gin bestellt.
So lief das hier.
Darum war Tooth auch hergezogen. Hier stellte niemand Fragen, und jedem war alles egal. Die Leute ließen Tooth und seinen Partner in Ruhe, und er ließ die Leute in Ruhe. Er wohnte in einer Erdgeschosswohnung auf der anderen Seite des Flusses, wo sein Partner nach Lust und Laune in den kleinen Garten scheißen konnte. Seine Putzfrau fütterte den Hund, wenn er auf Geschäftsreise war, was zwei- oder dreimal im Jahr vorkam.
Die Turks und Caicos-Inseln waren ein britisches Überseegebiet, das die Briten nicht mehr brauchten und sich auch nicht leisten konnten. Allerdings lag es strategisch günstig zwischen Haiti, Jamaika und Florida und bildete daher einen beliebten Zwischenstopp für Drogenschmuggler und illegale Einwanderer, die von Haiti in die USA wollten. Die Briten taten, als würden sie alles überwachen, hatten jedoch eine Marionette als Gouverneur eingesetzt und überließen die eigentliche Arbeit der korrupten einheimischen Polizei. Die amerikanische Küstenwache zeigte Präsenz, war aber nur an dem interessiert, was auf See geschah.
Für Tooth und sein Geschäft interessierte sich niemand.
Er trank noch zwei Bourbon, rauchte vier Zigaretten und machte sich dann mit seinem Partner auf den Heimweg über die dunkle, verlassene Straße. Es könnte der letzte Abend seines Lebens sein oder auch nicht, das würde er bald herausfinden. Im Grunde war es ihm egal, und das war kein betrunkenes Gerede. Das harte Stück Metall in seinem verschlossenen Kleiderschrank würde darüber entscheiden.
Tooth hatte mit fünfzehn die Schule abgebrochen und sich eine Weile herumgetrieben. In New York fing er sich wieder und arbeitete zuerst als Lagerist und dann bei Grumman auf Long Island, wo Kampfflugzeuge gebaut wurden. Als George Bush Senior im Irak einmarschiert war, hatte Tooth sich zur Armee gemeldet. Dort stellte man fest, dass er dank seiner angeborenen Ruhe ein einzigartiges Talent besaß. Nach zwei Stunden vor Ort meldete ihn sein Vorgesetzter für die Scharfschützenausbildung an. Dort entdeckte Tooth seine wahre Berufung. Davon zeugten auch mehrere Auszeichnungen, die bei ihm an der Wand hingen. Dann und wann betrachtete er sie distanziert, als befände er sich in einem Museum, in dem das Leben eines längst verstorbenen Fremden nachgezeichnet wurde.
Er besaß auch eine gerahmte Tapferkeitsurkunde, die man ihm verliehen hatte, nachdem er einen verwundeten Kameraden aus der Schusslinie gezogen hatte. Darauf stand unter anderem ein großer amerikanischer Patriot .
Vor einigen Jahren hatte der betrunkene englische Anwalt, der in der Bar die beiden Haitianer erschossen hatte, darauf bestanden, ihm einen auszugeben. Er hatte dagesessen, einen Gin hinuntergekippt und Tooth dann gefragt, ob er Patriot sei.
Tooth hatte verneint und ihn stehen lassen.
Der Anwalt hatte ihm nachgerufen: »Guter Mann. Patriotismus ist die letzte Zuflucht eines Schurken!«
Tooth erinnerte sich an diese Worte, während er am Abend seines zweiundvierzigsten Geburtstags einen letzten Blick auf die Medaillen und die gerahmte Urkunde warf. Dann ging er wie an jedem Geburtstag mit seinem Partner und einem Glas Bourbon auf den Balkon.
Er rauchte noch eine Zigarette, trank noch einen Whisky und ging im Geist
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