Riley Jenson 01 - Die Mondjägerin
Würden die Menschen sich aufregen oder denken, dass das eben der Preis für ihre Sicherheit war?
In Anbetracht der Tatsache, dass die meisten Gemeinden eine irrationale Angst vor den Nichtmenschen in ihrer Mitte hatten, ging ich von Letzterem aus. Oder sie würden uns einfach alle erschießen. Keine Nichtmenschen, keine Probleme.
Ich stützte mich am Ende von Jacks Schreibtisch ab und schlug die Beine übereinander. »Hast du Gautier jemals überprüft?« »Ich habe alle Angestellten gründlich überprüft, als ich hier angefangen habe.« Jack lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »Wieso fragst du?« »Aus reiner Neugier.« »Das sind alle Wölfe, aber das erklärt nicht dein plötzliches Interesse an Gautier oder wieso du mich gerade jetzt nach ihm fragst.« Ich grinste. »Ich frage dich, weil du besser an die Akten herankommst als ich.«
Er lächelte, doch seine Augen wirkten kühl. Er wusste offensichtlich nicht nur, worauf ich hinauswollte, sondern hatte geradezu darauf gewartet. Erst jetzt begriff ich, dass er deshalb vorhin versucht hatte, mit mir ins Gespräch zu kommen. Ich hatte keine Ahnung, wieso er mich direkt gefragt hatte.
»Was willst du wissen?«, fragte er.»Hat Gautier einen Bruder?« »Jedenfalls nicht offiziell. Seine gesamte Familie gilt als tot.« »Nun, der Kerl, der gestern Abend auf mich geschossen hat, sah ihm zum Verwechseln ähnlich. Nur dass er ein Werwolf und kein Vampir war.« »Zufall?« »Du glaubst doch nicht an Zufälle.« »Nein.« Er zögerte. »Ich habe die Überreste der Leiche sicherstellen lassen und unsere Wissenschaftler beauftragt, eine Autopsie durchzuführen sowie eine Zellanalyse zu erstellen. So können wir herausfinden, ob er mit ihm verwandt ist oder was auch immer.«
Ich hob die Brauen. »Wenn du von der Schießerei gewusst hast, wieso hast du das dann nicht gleich gesagt, als ich dir davon erzählt habe?« »Weil ich abwarten wollte, ob du es von allein ansprichst und willst, dass ermittelt wird.« Er lächelte. »Gute Wächter bringen immer zu Ende, was sie angefangen haben.« »Wie gute Assistenten.« Ich stand auf und drückte Jack einen Kuss auf seine faltige Wange. »Und danke für die Überprüfung.« Er wurde doch tatsächlich rot. »Gern. Solltest du jetzt nicht lieber gehen? Du arbeitest doch heute nur den halben Tag, und du weißt ja, was die da oben von Überstunden halten.«
»Wenn sie nicht im Vorwege beantragt wurden, werden sie nicht bezahlt«, zitierte ich in bester Jack-Manier. Er schnaubte. »Such diesen Mitbewohner, um den du dir solche Sorgen machst, bevor ich noch einen Grund finde, dich hierzubehalten.«
Feixend hastete ich zu meinem Schreibtisch, meldete mich ab, nahm meine Tasche, winkte Jack zu und verschwand. Dicke Wolken hatten sich vor die Sonne geschoben, und der Tag war grau und düster, obwohl es noch nicht einmal eins war. Ich knöpfte meinen Wollmantel zu und war froh, dass ich mich für ihn anstelle des zwar modischeren, aber kurzen Ledermantels entschieden hatte, den ich normalerweise trug, wenn ich eine Runde durch die Clubs drehte.
Ich nahm die Straßenbahn, stieg an der Lygon Street aus, blieb einen Moment stehen und steckte die Nase in die Luft. Es wehte der köstliche Geruch von Fleisch, Gewürzen und Brot aus den Straßen des berühmten Restaurantviertels herüber. Mein Magen knurrte und erinnerte mich daran, dass ich nichts zu Mittag gegessen hatte, doch ich ignorierte ihn und lief weiter. Ich musste mich jetzt um wichtigere Gelüste kümmern.
Der Blaue Mond lag in einer Seitenstraße direkt an der Ecke zur Lygon Street. Obwohl es mein Lieblingsclub war, musste ich jedes Mal über den Namen lächeln. Es war ein so typischer Name für einen Werwolf-Club, dass es hunderte – wenn nicht sogar tausende – Blaue Monde auf der ganzen Welt gab. Die Menschen dachten sicher, dass wir total einfallslos waren, doch jeder, der schon einmal in einem Club gewesen war, wusste, dass das absolut nicht stimmte.
Der Blaue Mond war der kleinste von fünf Werwolf-Clubs in Melbourne und der einzige, zu dem auch Menschen Zutritt hatten – allerdings nur an bestimmten Tagen und nicht während der Vollmondphase. Die anderen Clubs vertraten eine strikte Nichtmenschen Politik, was die Idioten von der Regierung per Gesetz ändern wollten. In Anbetracht der Tatsache, dass die Clubs vor zwanzig Jahren noch nicht einmal legal waren und regelmäßig unter Razzien zu leiden gehabt hatten, war das erstaunlich.
Die Tür wurde aufgestoßen, und
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