Riley Jenson 02 - Wächterin des Mondes
und ging nach links. Vor uns ragte ein Gebäude auf, durch dessen riesige Löcher in der Seitenwand die einzelnen Stockwerke zu erkennen waren.
Nebel waberte um Mishas Körper, während er sich verwandelte. In Wolfsgestalt rannte er an die Kante und sprang auf das erste Loch zu. Ich beobachtete, wie er auf der anderen Seite landete. Die Hälfte seines Körpers war bereits im Gebäude, doch mit den Hinterläufen suchte er noch Halt auf dem groben Backstein. Mein Herz schlug bis zum Hals, und vor lauter Angst um ihn konnte ich einige Sekunden nicht atmen. Dann war er in Sicherheit, und ich war dran.
O Gott, o Gott. Ich befeuchtete meine Lippen und hielt den Blick direkt auf das Gebäude vor mir gerichtet. Es war nur ein kleiner Sprung. Ein winziger Sprung. Ein Witz im Vergleich zu manchen Sprüngen, die ich schon geleistet hatte. Ich rief den Wolf in mir und fühlte die Energie um meinen Körper fließen. Aber ich konnte mich nicht rühren. Meine Pfoten schienen auf dem Beton festzukleben.
Dann hörte ich es. Das Tapsen winziger Füße auf Beton. Irgendwie waren die Spinnen in das Treppenhaus gelangt. Ich hatte die Wahl zwischen den Spinnen und dem Sprung. Für heute hatte ich wirklich genug von den Biestern.
Ich holte tief Luft, dann sprintete ich so schnell mich meine vier Läufe trugen über das Dach. Ich dachte nicht nach, sah nicht hin, lief nur. Ich sprang weit und hoch. Es war beängstigend, den Wind um mich herum zu spüren und unter mir nur den Abgrund zu sehen. Die Angst schnürte mir den Magen zu und nahm mir die Luft. Ich landete mit allen vier Pfoten auf dem Beton und schlidderte in die Sicherheit. Sofort nahm ich wieder menschliche Gestalt an, konnte mich jedoch einen Augenblick nicht rühren. Ich schwitzte, zitterte und rang nach Luft.
Aber der Gedanke, dass die Spinnen es vielleicht ebenfalls irgendwie über den Abgrund schaffen konnten, gab mir Kraft. Ich stand auf und sah mich nach Misha um. Er war auf halbem Weg zur Treppe.
»Misha, warte.« Er blieb stehen, und ich holte ihn ein. Der Geruch von Schweiß, Blut und Angst wehte durch die Luft und aus seinen silberfarbenen Augen sprach die blanke Angst. Mir sank der Magen in die Kniekehlen. Etwas stimmte nicht. Etwas stimmte überhaupt nicht.
»Ich fühle mich scheiße«, krächzte er. »So siehst du auch aus.« Ich legte stützend einen Arm um seine Taille und lief weiter. »Mein Auto steht auf der anderen Straßenseite. Ich bringe dich ins Krankenhaus, da kommst du wieder in Ordnung.« Er hustete, und Blut spritzte aus seinem Mund. Gott, er hatte innere Verletzungen. »Halt durch, Misha«, murmelte ich und zerrte ihn fast zu den Treppen. »Halt bloß durch.« »Du hattest recht«, erwiderte er. Er sprach so leise, dass ich ihn kaum verstand. »Er hat einen Weg in meinen Fuchsbau gefunden.« »Aber er hat uns nicht umgebracht, und das ist unser Vorteil.« »Da bin ich mir nicht so sicher.« Er taumelte, und wir fielen beide hin.
Ich stöhnte, als ich den Schmerz an meinen Knien spürte. Misha rollte sich auf den Rücken, sein Gesicht war schmerzverzerrt, und er presste die Hände auf seinen Bauch. »Gott«, keuchte er. »Es fühlt sich an, als würde ich von innen aufgefressen …« Er hielt inne, weil er husten musste, und aus seinem Mund spritzten Blut und Wasser und etwas, das wie kleine Fleischstücke aussah. Ich erinnerte mich an das Wesen in seinem Gesicht. Auf einmal fiel mir ein, dass es nur halb so groß wie die anderen gewesen war. Panik ergriff mich, und ich hatte das Gefühl, mir würde sich der Magen umdrehen.
Misha wurde von innen aufgefressen. Als ihm die Spinne ins Gesicht gesprungen war, hatte sie nicht nur seine Haut angenagt. Sie war mit einem Teil ihres Körpers in seinen Körper eingedrungen und setzte jetzt irgendwo in ihm ihre blutige Arbeit fort.
Er fasste meine Hand, zog mich an seine aufgerissenen Lippen und küsste meine Finger. »Mach dem ein Ende, Riley. Wenn du irgendetwas …« Er hielt wieder inne, und diesmal war der Wasserstrom, der dem Husten folgte, dicker. Ich zitterte und schmeckte den bitteren Geschmack von Galle in meinem Hals. Ich war hin- und her gerissen zwischen dem Drang schreiend wegzurennen oder gegen die Tücken des Schicksals anzukämpfen.
»Mach Schluss, Riley«, flehte er. »Bitte.« Ich schloss für einen kurzen Augenblick die Augen, dann holte ich tief Luft und sagte: »Sag mir, wer dein Chef ist, Misha. Bitte.« »Ich kann nicht.« »Nicht einmal ein Hinweis?« »Nein, selbst … tot
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