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Rimbaud und die Dinge des Herzens: Roman (German Edition)

Rimbaud und die Dinge des Herzens: Roman (German Edition)

Titel: Rimbaud und die Dinge des Herzens: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samuel Benchetrit
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Bäckerei, die auf unserem Weg zur Schule liegt, wird niemals dichtmachen – es gibt auf der Welt keine zweite, die so gut läuft. Jeden Morgen und jeden Nachmittag stürmen Tausende von Jungen und Mädchen in den Laden, um Schokocroissants zu kaufen und alles, was irgendwie süß ist. Ich mag am liebsten Eistee mit Pfirsichgeschmack. Ich könnte das Zeug nonstop trinken, sogar an Stelle zu atmen. Der Bäcker ist ein alter Mann, derschon immer da war. Der unangenehmste Mensch der Welt, aber er kann es sich leisten – er hat die leckersten Süßigkeiten.
    Als ich heute Morgen allein an der Bäckerei vorbeiging, bin ich ganz traurig geworden. Ich fühlte mich verlassen. Außerdem hatte ich Hunger, aber keinen Cent in der Tasche. Sehnsüchtig schielte ich durch das Schaufenster. Der Bäcker war gerade dabei, Croissants und Brioches zu schichten, wie ein Soldat, der vor der Schlacht sein Gewehr lädt. Mein Bauch gab ein knurrendes Geräusch von sich. Und ich ging weiter. Bis zur Schule, und noch ein Stück um die Ecke zum Tor auf der Rückseite.
    Noch war niemand auf dem Schulhof. Ich schaute zu den Gebäudeflügeln und den Fenstern der Klassenzimmer hinüber. Ich hätte jetzt eigentlich Französisch gehabt. Als Hausaufgabe hatten wir ein Gedicht auswendig lernen müssen, das war echt nicht ohne. Aber ich verrate Ihnen eine todsichere Methode: Wenn Sie sich mal etwas merken müssen, lesen Sie es sich einfach direkt vor dem Schlafengehen durch. Das funktioniert immer!
    Ich steckte den Kopf zwischen zwei Gitterstäbe und starrte zu dem Fenster, hinter dem mein Französischunterricht stattfand.
     
    Als schlichter Waise, reich genug
    An meiner Augen stillem Scheine,
    Kam ich zur Stadt, fremd und alleine,
    Die Männer fanden mich nicht klug.
     
     
     
    Mit zwanzig Jahren wurde ich
    Im Feuer der verliebten Sinne
    Der Weiber süßer Schönheit inne:
    Doch freilich schön fand keine mich.
     
     
     
    Wenn auch in keines Königs Sold
    Ich Heimatloser Ruhm erworben,
    Wär’ gern ich doch im Krieg gestorben,
    Doch hat der Tod mich nicht gewollt.
     
     
     
    Kam ich zu früh, kam ich zu spät
    In diese Welt voll herber Trauer?
    Was soll mir, ach, des Lebens Dauer?
    Denkt an mich Armen im Gebet!
     
     
    Es ist ein Gedicht von Paul Verlaine über einen Typ namens Kaspar Hauser. Der hatte eine unglaubliche Geschichte hinter sich, das haben wir im Unterricht behandelt. Dieser Junge tauchte eines Tages auf einem Platz auf. Er kam aus dem Wald und konnte nur einen einzigen Satz sagen und seinen Namen schreiben. Anscheinend hatte er in einer kleinen Hütte gelebt und auf dem Boden geschlafen. Dann war ein schwarzgekleideter Mann gekommen, brachte ihm das Gehen bei und wie man seinen Namen schreibt. Später führte dieser Mann ihn noch bis zur Stadt, überließ ihn dort aber seinem Schicksal. Ein Stadtbewohner nahm den Jungen auf und versuchte, ihn zu erziehen und ihm gute Manieren beizubringen. EinesNachts jedoch fand man Kaspar Hauser auf demselben Platz, auf dem er aufgetaucht war – mausetot. Er war von unzähligen Messerstichen übersät und wie ein Hund liegen gelassen worden. Auf dem Platz wurde eine Tafel angebracht, auf der steht:
Hier wurde ein Unbekannter von einem Unbekannten ermordet.
    Diese Geschichte hat mich ganz schön mitgenommen. Die Tafel gibt es angeblich heute noch. Ich würde gern einmal hinfahren. Jedenfalls hat Verlaine ein Gedicht darüber geschrieben. Und letzte Woche haben wir uns einen Film angesehen,
Der Wolfsjunge
von François Truffaut, er spielt auch selber mit. Die Geschichte hat mich stark an diese Hauser-Nummer erinnert, auch wenn sie ein bisschen anders ist. Der Film handelt von einem Jungen, der Victor aus dem Aveyron heißt und direkt aus den Wäldern kommt. Er hat ein bisschen was von einem Affen. Er spricht nicht, er grunzt. Und wenn er isst, da kann man gar nicht hinsehen. Ein gewisser Docteur Itard soll ihn erziehen. Er will ihm Klugheit beibringen, obwohl alle behaupten, Victor sei ein Idiot. Es gibt Szenen, die einem wirklich zu Herzen gehen, zum Beispiel, wenn der Junge aus dem Fenster schaut und zu träumen beginnt. Er sieht die Bäume, und man spürt sofort seine abgrundtiefe Traurigkeit. Also, das wird nicht alles erklärt, aber man versteht genau, dass er an sein früheres Leben denkt, als er wie ein Affe auf den Bäumen lebte.
    Ob es wohl irgendwo auf der Welt noch Jungs gab, die so lebten – wie Wilde? Schlagartig kam mir meine Mutterin den Sinn. Wenn sie nicht wiederkam, musste

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