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Rimbaud und die Dinge des Herzens: Roman (German Edition)

Rimbaud und die Dinge des Herzens: Roman (German Edition)

Titel: Rimbaud und die Dinge des Herzens: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samuel Benchetrit
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dass auch ihr das passieren könnte. Sie ist an eine Frau geraten, die sich ihre Unterlagen sehr genau anschaute … und keine Spur von ihrer früheren Aufenthaltsgenehmigung fand, weil man damals noch keine Daten per Computer verarbeitet hat. Maman erzählte der Frau ihr ganzes Leben, die daraufhin nur sagte, dass Papa mit ihrer Aufenthaltsgenehmigung durchgebrannt sei, wäre ja nicht ihr Problem … Sie fragte Maman, ob sie nicht irgendetwas hätte, eine Fotokopie vielleicht … Maman antwortete, dass ihr Mann damals alles mitgenommen hätte, dann erkundigte die Frau sich immer wieder, ob es irgendeinen anderen Anhaltspunkt gäbe … Was du wissen musst, Charly, ist, dass die Rolands Maman nicht angeben.«
    »Was bedeutet das?«
    »Das bedeutet, dass sie sie schwarz beschäftigen.«
    »Weil sie eine Schwarze ist?«
    »Nein, du Idiot … Das ist so ein Ausdruck, sie geben sie nicht bei der Steuer an … Sie kriegt am Monatsende immer Bargeld … Damit man nicht nachweisen kann, dasssie für sie arbeitet. Zumindest, seit sie ihre Aufenthaltserlaubnis verloren hat. Anfangs haben sie sie ja immer noch angegeben, aber das können sie jetzt nicht mehr … Das ist wie mit der Miete für unsere Wohnung, die läuft auch unter dem Namen der Tochter der Rolands …«
    »Nathalie.«
    »Nathalie, genau. Was ich dir sagen will, ist, dass Maman ihre Existenz in Frankreich nicht beweisen kann oder die Tatsache, dass sie arbeitet und ein richtiges Leben führt … Sie kann die ersten Jahre nachweisen, als Papa noch da war, aber jetzt nicht mehr …«
    »Aber … Sie führt doch hier ein richtiges Leben, das können viele Leute beweisen … Die Rolands, die Nachbarn aus dem Viertel. Meine Lehrer …«
    »Ja, aber was zählt, ist das Papier. Und außerdem ist Maman so stolz.«
    »Das stimmt!«
    »Hör zu. Gegenüber der Frau vom Amt hat sie niemanden erwähnt. Weder die Rolands noch irgendwelche Leute aus dem Viertel und noch nicht einmal dich.«
    »Weshalb denn nicht?«
    »Weil sie niemanden da reinziehen will.«
    »Aber sie hat doch nichts angestellt.«
    »Ja, aber wenn du da vor dieser Frau vom Amt sitzt, fühlst du dich schuldig. Wenn sie erfahren, dass Maman einfach so bei den Rolands arbeitet, könnten die Scherereien bekommen.«
    Einen Moment lang sagte ich nichts, während Henryweiterhin Erde durch seine Finger rieseln ließ. Meine Gedanken überschlugen sich.
    »Aber Henry … Ich bin doch der Beweis, dass Maman ein Leben hat … Ich habe meinen Ausweis, den habe ich in Mamans Frisierkommode gesehen.«
    »Stimmt. Du bist in Frankreich geboren, und als sie aus dem Krankenhaus entlassen wurde, bekam Maman französische Papiere für dich.«
    »Für dich nicht?«
    »Ich bin in Mali geboren, Charly … Ich habe auch keine Papiere.«
    »Dann können sie dich auch abschieben?«
    »Genau.«
    Eine Welt brach für mich zusammen.
    »Aber … wenn sie Maman abschieben und dich auch, dann bin ich ja hier ganz alleine?!«
    »Ich weiß nicht, ob das geht, Charly … Vielleicht können sie eine Frau, die ein französisches Kind hat, gar nicht abschieben. Oder vielleicht schieben sie die Frau zusammen mit dem Kind ab. Vielleicht wissen sie ja auch gar nichts davon … Sie werden womöglich jetzt erst erfahren, dass es dich gibt … Und dann suchen sie dich.«
    »Sie werden mich nicht erwischen!«
    »Ach ja?«
    »Du wirst schon sehen, ich kenne unser Viertel besser als irgendwer anders. Da müssten es schon zehntausend sein, damit sie mich entdecken!«
    »Du würdest Maman also alleinlassen.«
    »Na ja, ich weiß nicht …«
    »Sie würde dir fehlen.«
    Ich brach in Tränen aus. Sie fehlte mir ja jetzt schon. Ich liebe meine Mutter über alles. Meine liebe süße Maman, ich bin so glücklich, dein Sohn zu sein.
    Henry legte seinen Arm um mich. Er streichelte mir den Kopf, wie es meine Mutter tut. Das tat er zum ersten Mal.
    »Ich will Maman sehen, Henry, ich will Maman sehen.«
    »Du kannst sie sehen, Charly.«
    Ich richtete mich auf.
    »Du weißt, wo sie ist?«
    »Ja.«
    Ich wischte mir die Tränen ab.
    »Sag schon!«
    »Ich nehme an, sie sitzt in Abschiebehaft.«
    »Was ist das für ein Ding?«
    »Im Abschiebegefängnis. Das ist ein geschlossener Ort, an den die Leute ohne Papiere gebracht werden.«
    »Wo ist das?«
    »Das nächste liegt hinter dem neuen Viertel Louise-Michel, ganz am Ende der Cité.«
    »Und du glaubst, dass Maman dort ist?«
    »Ich denke schon. Oder vielleicht noch auf dem Kommissariat … Jedenfalls wird sie mit

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