Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rimbaud und die Dinge des Herzens: Roman (German Edition)

Rimbaud und die Dinge des Herzens: Roman (German Edition)

Titel: Rimbaud und die Dinge des Herzens: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samuel Benchetrit
Vom Netzwerk:
…«
    Ich kann sehr wohlerzogen sein, wenn ich will. MeineMutter hat uns so gedrillt mit ihrem
guten Tag
,
bitte schön
,
danke schön
, dass es mittlerweile ganz von alleine funktionierte.
    »Ja, natürlich, wir haben uns doch neulich in dem japanischen Restaurant gesehen, gegenüber vom Kino, ich war mit meiner Mutter da.«
    »O ja, ich erinnere mich … Du heißt …«
    »Charles … Charly!«
    Wenn ich verlegen bin, sage ich immer automatisch meinen richtigen Namen.
    »Genau, Charly … Und wie geht es deiner Mutter?«
    »Sehr gut, Madame.«
    »Wolltest du Mélanie besuchen?«
    »Nein, nein … Na ja, ich weiß nicht … Ich war in der Nähe, und da kam ich hier vorbei.«
    Madame Renoir lächelte. Das machte mich wahnsinnig, weil ich nicht wusste, ob sie einfach nur so lächelte oder ob sie mich durchschaut hatte.
    »Mélanie ist zu Hause … Du kannst reinkommen, wenn du magst.«
    »Nein, ich möchte sie nicht stören … Ich sehe sie ja in der Schule …«
    Ich bin ein Vollidiot.
    Ich hätte nur »ja« zu sagen brauchen, oder gar nichts, hätte einfach nur aufstehen müssen und wäre bei Mélanie gelandet, bei meiner Traumfrau.
    »Wie du willst. Sag deiner Mutter schöne Grüße!«
    »Mach ich, Madame Renoir.«
    »Ich muss rein, ich habe einen Kuchen in den Ofen geschoben und weiß nicht, wie spät es ist.«
    »Es ist zwanzig nach fünf, Madame.«
    »Woher weißt du das?«
    »Ich weiß immer, wie spät es ist.«

Sechzehntes Kapitel

17 Uhr 20
     
     
    Als Madame Renoir in ihrem Haus verschwand, war ich plötzlich traurig. Ich hätte mich gerne noch weiter mit ihr unterhalten. Ich war schüchtern in ihrer Gegenwart, aber ich fühlte mich auch wohl. Sie war ein Stückchen Mélanie.
    Das Stückchen, das ihr am nächsten war.
    Ich blieb auf dem Bürgersteig sitzen. Wollte nicht aufstehen. Die Straße ist nicht schön, aber ich fühlte mich geborgen. Wie in der elektrischen Hütte mit Freddy Tanquin oder wenn ich den Kopf zwischen die Knie zwänge, damit es komplett dunkel wird.
    Ich zog die Knie an und steckte den Kopf dazwischen. Es ging kein Wind mehr wie vorhin oben am Berg mit Henry. Trotzdem hab ich geschnauft.
    »Hallo.«
    Ich hob überrascht den Kopf.
    Vor mir stand – Mélanie.
    »Meine Mutter hat mir gesagt, dass du hier bist.«
    »Ja, ich … Ich war gerade in der Nähe.«
    »Was treibst du hier?«
    »Nichts … Wie gesagt, ich war in der Nähe und bin hier vorbeigekommen, auf dem Weg nach Hause … Ichmache gerade eine Pause.« Heuchlerisch erkundigte ich mich: »Wohnst du dort?«
    »Ja, genau. In dem Haus da drüben.«
    Sie deutete auf das Einfamilienhaus, das ich in- und auswendig kannte, und um meine Blödheit noch zu toppen, stand ich auf, damit ich es besser sehen konnte.
    »Das ist aber ein schönes Haus!«
    »Ich habe schon immer dort gewohnt … Und mein Großvater, der wohnt da.«
    Sie deutete auf das Einfamilienhaus gegenüber, aber ich wusste natürlich längst, dass der alte Mann zu ihrer Familie gehörte.
    »Ja, ich habe ihn vorhin gesehen, als er die Äste von dem Baum abgeschnitten hat.« Ich traute mich nicht,
abzweigen
zu sagen. »Das muss super sein, wenn der Großvater gleich nebenan wohnt.«
    »Ja … aber er ist jetzt schon sehr alt.«
    Es klang traurig. Bestimmt hing sie sehr an ihm.
    »Bei mir lebt niemand von der Familie gleich um die Ecke … Na ja, mein Bruder und meine Mutter, aber wir wohnen zusammen.«
    »Ich lebe mit meiner Mutter und meiner Schwester zusammen …«
    »Hast du keinen Vater?«
    »Nein … Na ja, doch … Aber der ist vor langer Zeit abgehauen.«
    »Meiner ist auch vor langer Zeit abgehauen … Verstehst du dich gut mit deiner Schwester?«
    »Nicht so sehr … Sie ist älter und glaubt immer, dass sie sich deswegen alles herausnehmen kann.«
    »Das kenn ich, mein Bruder macht mich dauernd zur Schnecke.«
    »Wie gemein.«
    »Find ich auch.«
    Mélanie war wirklich super. So wie ich sie mir vorgestellt hatte.
    Oft bin ich nämlich enttäuscht. Ich denke mir einen ganzen Film über die Leute aus, und wenn ich fünf Minuten mit ihnen geredet habe, merke ich, dass es nur Fernsehen war.
    Aber Mélanie war anders. Besonders. Vor allem, als sie zu mir sagte:
    »Warum bist du heute nicht zur Schule gekommen?«
    Ich war völlig perplex.
    »Weil … Woher weißt du, dass ich heute nicht da war?«
    »Ich hab dich gar nicht mit deinen Freunden in der Kantine gesehen.«
    Stimmt schon, wir setzten uns jeden Tag an denselben Tisch. Aber es war trotzdem schön, dass ihr

Weitere Kostenlose Bücher