Rimbaud und die Dinge des Herzens: Roman (German Edition)
der dir gefällt.«
»Ich habe keine Lust, darauf zu antworten.«
Also ehrlich, manchmal bin ich nicht ganz dicht.
»Du machst es dir ja einfach!«
»Womit?«
»Indem du mir nur alles nachplapperst.«
»Und warum sollte ich antworten, wo du es ja auch nicht tust?!«
»Du hast recht.«
Mélanie ist fünfzig Jahre älter als ich. Sie fragt nie etwas, oder erst, nachdem ich es sie gefragt habe.
Inzwischen standen wir am Gitterzaun ihres Hauses.
Wir sahen uns an, und mir fiel auf, dass ihre Wangen noch nie so rosafarben waren.
»So, ich geh jetzt wieder rein.«
»Klar.«
Wir gaben uns einen Kuss auf die Wange. Unsere Wangen glühten.
»Salut.«
»Salut.«
Sie hatte mir schon den Rücken zugekehrt.
»Mélanie …«
»Ja …?«
»Weißt du, gerade, als wir darüber gesprochen haben, ob … Na ja … es gibt da jemanden, der mir gefällt.«
Sie lächelte.
»Bei mir auch … Es gibt da jemanden, der mir gefällt.«
Und da wusste ich, dass ich es bin.
Ich wusste es. Ich wusste es. Ich wusste es.
Siebzehntes Kapitel
18 Uhr 10
Als Mélanie im Haus verschwunden war, bin ich die Straße weiter hinuntergelaufen. Ich hatte keine Ahnung, wohin ich unterwegs war. Sicher bin ich nicht auf demselben Planeten wie Sie gewesen. Ich hatte das Bedürfnis zu schreien. Wollte wildfremden Leuten Geschenke machen. Wollte den unglücklichsten Menschen auf Erden treffen und ihn trösten.
Mann, ich schwebte im siebten Himmel!
Die Richtung, die ich eingeschlagen hatte, führte nirgendwohin, oder zu mir nach Hause. Und es gab keinen Grund, dorthin zu gehen. Meine Kumpels waren beim Training, von daher hätte ich also allenfalls Nachbarn treffen können, mit denen ich keine Lust hatte zu reden, oder Polizisten, die nach mir suchten.
Kurz entschlossen machte ich kehrt. Ich kam wieder am Haus von Mélanies Großvaters vorbei. Der war immer noch mit seinem Baum beschäftigt. Gärtnern scheint eine Leidenschaft zu sein. Das sieht man ja auch an meiner Mutter und ihrer Hingabe, was Blumen angeht.
Ich blieb stehen und sah dem alten Mann zu. Schon drollig, wie er sich an den Zweigen zu schaffen machteund sie zwei Stunden lang anstarrte, bevor er sie abschnitt. Nach einer Weile entdeckte er mich hinter dem Zaun. Er machte eine Geste mit der Hand, wie die Soldaten in der Armee.
Ich erwiderte die Geste und staunte über mich selbst.
»Monsieur … Wie heißt eigentlich das Wort dafür, wenn man Zweige abschneidet?«
»Man lichtet aus, mein Junge … Man lichtet aus.«
»Man lichtet aus.«
»Auslichten … Manche sagen auch beschneiden … Das kommt drauf an.«
»Vorhin, als ich Ihnen zusah, ist mir ein anderes Wort eingefallen.«
Der Großvater kam auf mich zu.
»Was für ein Wort hast du gefunden?«
»Abzweigen.«
Er überlegte angestrengt.
»Das gefällt mir … Das werde ich ab jetzt auch immer sagen.«
Er ging wieder zu seinem Baum zurück.
Ich beobachtete ihn noch eine Weile bei seiner Arbeit, augenzwinkernd rief er mir zwischendurch immer wieder irgendwelche soldatischen Grüße zu. Ich fand ihn super, diesen alten Mann. Er erinnerte mich an Monsieur Roland.
Da fiel mir ein, dass es unbedingt Zeit war, zu den Rolands zu gehen.
Ich verabschiedete mich rasch von Mélanies Großvater:
»Adieu, Herr General!«
»Adieu, Herr Leutnant!«
Und damit spurtete ich los, in Richtung Bahnhof.
Ich fühlte mich leicht wie ein Vogel! Endlich einmal rannte ich nicht, weil ich Angst hatte. Ich kam wieder an dem Platz und an der Bank vorbei, auf der ich mit Mélanie gesessen hatte. Ich war nicht traurig, und in diesem Augenblick fehlte mir auch nichts. Im Gegenteil, ich empfand diesen Ort noch als ganz erfüllt von uns beiden. Und was am allerschönsten war: Ich war mir sicher, dass Mélanie in diesem Augenblick an mich dachte.
Ich stieg in den 89er Bus. Ich hatte weder einen Fahrschein noch Geld, um mir einen zu kaufen. Aber das war nicht schlimm, denn auf den Linien, die durch die Cité fahren, steigen keine Kontrolleure mehr zu.
Bis zum Bahnhof sind es vier Stationen. Ich kenne sie auswendig.
Lilas
.
Cézanne
.
Gide
. Und dann
Gare
– Bahnhof. Von da muss man Richtung Paris weiterfahren, aber zwei Stationen vorher aussteigen, in
Ambroise-Paré
. Das war ein großer Arzt, hat mir meine Mutter erzählt. Ich glaube, es gibt viele Ärzte, nach denen Straßen in der Nähe von Paris benannt sind. Wahrscheinlich will man damit die alten Leute beruhigen, die dort leben. In Paris sind es vor allem Militärs und
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