Ringwelt 06: Flatlander
glaubst.«
»Okay.«
»Ich muß bis 2000 arbeiten. Bist du bis dahin wieder zurück?«
»Ich denke doch.«
Wir berührten uns mit den Helmvisieren, ein symbolischer Kuß, und ich fuhr los.
Die Straße begann auf der Ostseite der Stadt, bei den Spiegelwerken, beschrieb einen Bogen und führte von dort aus schnurgerade nach Westen. Ich kam relativ gut voran, auch wenn die Maschine hüpfte und sprang wie ein Ball in Zeitlupe und immer wieder den Bodenkontakt verlor. Weit zu meiner Linken befand sich der schräge Felsen. Zu meiner Rechten bog ein Weg ab und wand sich einen Hügel hinauf. Er führte zu der Sauerstoffabrik und dem Wassergenerator. Ich hatte die Anlage im Projektionsraum stark verkleinert aus der Höhe gesehen: Spiegel, die entlang eines relativ jungen, größeren Kraters montiert waren und Sonnenlicht auf einen Druckkessel warfen, in dem Mondgestein bis zur Rotglut erhitzt wurde. Rohre leiteten Wasserstoff ein und führten Wasserdampf ab. Ich verspürte Lust, den Weg hinaufzufahren und mir die Anlage aus der Nähe anzusehen. Vielleicht auf dem Rückweg …
Zu meiner Linken erstreckte sich die Gegend, durch die Naomi uns geführt hatte, sowie der Felsen, an dem sie hochzuklettern versucht hatte. Ich fuhr daran vorbei.
Die Straße wurde kurvenreich und wand sich schließlich wie eine verletzte Schlange. Ein breiter Seitenweg führte zu der stillgelegten Mine, der Hovestraydt City seinen Reichtum verdankte. Als die Erzvorkommen erschöpft gewesen waren, hatte Hovestraydt City sich auf die Herstellung von Spiegeln verlegt.
Naomi war keine Einheimische. Falls sie sich hier draußen mit irgendjemandem getroffen hatte, hätte sie eine markante Stelle ausgewählt. Das gleiche galt für den Fall, daß irgendjemand einfach einen Puffer für sie bereitgestellt hatte. Die Minen? Naomi hätte sich nicht verlaufen können, Augenzeugen waren hier unwahrscheinlich, und die zurückgebliebene Maschinerie reichte aus, um ein kleines Fahrzeug vor dem Radar zu verbergen.
Sie hatte uns am Tag nach dem Attentat auf Chris Penzler in die Irre geführt, kein Zweifel. Alan Watson hatte ihr wahrscheinlich alle Informationen geliefert, die sie brauchte, als er ihr den Projektionsraum gezeigt hatte. Und sie war auf geradem Weg in die Organbänke getanzt. Was wollte sie verbergen?
Oder hatten die Geschworenen doch recht gehabt?
Schließlich hüpfte ich auf meinem Puffer wieder bergab und verließ die Gegend, die ich mit meiner imaginären Hand abgesucht hatte. So weit konnte Naomi zu Fuß unmöglich gekommen sein. Weit voraus bemerkte ich eine silberne Linie: Der Massetreiber, dessen Bau man in den Vierziger Jahren des einundzwanzigsten Jahrhunderts begonnen hatte, um Erz für das L-5-Projekt zu transportieren. Die Gesellschaft war bankrott gegangen, und der Massetreiber war halb fertig gestellt und längst veraltet.
Ich blickte immer wieder auf meine Uhr.
Vor mir lag der Handelsposten. Ich war nicht gewöhnt, Details in der Mondlandschaft zu erkennen, und so hatten meine Augen die Gebäude erst spät ausgemacht. Ich entdeckte zuerst die Umrisse zweier Raumschiffe, dann die Fläche des Raumhafens, dann den weiten Halbkreis von Gebäuden aus Stein und Glas ringsum. Die Straße verlief in weitem Bogen zwischen Gebäuden und Landefläche. Ich hatte gerade einmal fünfunddreißig Minuten für die Strecke benötigt.
Der Handelsposten war nach Mondstandards ein fremdartiger Anblick.
Es gab keine Kuppeln. Die lang gestreckten Bauwerke besaßen ausnahmslos eine eigene Luftversorgung; manche waren durch Tunnel miteinander verbunden. In Selenes Bar und Grill, wo ich zum Mittagessen einkehrte, gab es Garderobenhaken für Raumhelme, aber keine für Druckanzüge. Die Kundschaft bewahrte ihr Kleingeld offensichtlich in Außentaschen auf.
Selenes Bar und Grill, das Mare Serenitas Spa (mit Swimmingpool und Sauna), das Mann-im-Mond-Hotel (der Mann, der auf dem Werbeschild dargestellt war, gähnte!), das Aphrodite: sämtliche Lokale trugen Namen, die einen Bezug zum Mond aufwiesen. Die Hälfte der Leute, die ich zu sehen bekam, waren Lunies. Im Aphrodite konnte man Liebesdienste kaufen. Die Kellnerin im Selene verriet mir, daß das Aphrodite sich auf die Wünsche und Bedürfnisse von Lunies spezialisiert hatte. Ich war nicht wenig schockiert.
Das Verwaltungsgebäude befand sich auf der anderen Seite des Raumhafenrunds. Es war groß genug, um sich darin zu verlaufen. Polizeistation, Lizenzvergabe und Raumhafenverwaltung waren
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