Ringwelt 06: Flatlander
viel Zeit verschwendet, die mir hinterher fehlte. Ich spürte eine tiefe innere Unruhe, als säße mir die Zeit dicht im Nacken, eine unerklärliche Überzeugung, als blieben Naomi keine sechs Monate im Kältetank mehr, sondern nur noch Stunden.
McCavity kam mir in der Halle entgegen. »Hallo Gil! Mein Angebot steht immer noch«, sagte er.
»Angebot?«
»Ich wollte mich mit dir zusammen betrinken«, erinnerte er mich.
»Oh. Vielleicht komme ich noch darauf zurück. Was hältst du davon, wenn ich dir fürs erste einen Drink spendiere? Allerdings habe ich nirgendwo eine Bar gesehen …«
»Es gibt auch keine. Wir haben in der Regel unsere eigenen Vorräte zu Hause und betrinken uns auf unseren Zimmern. Komm mit, ich verfüge über eine reichhaltige Auswahl.«
McCavitys Quartier befand sich in der Nähe der untersten Ebene von Hovestraydt City. Er besaß keine richtige Bar-Ausstattung; die Drinks würden also einfach sein. Er bot mir etwas an, das er »Erdschein auf Eis« nannte, und ich nahm dankend an.
Es rann glatt die Kehle hinab.
»Destillation ist extrem billig hier oben auf dem Mond«, verriet mir Harry. »Hitze, Kälte, partielles Vakuum – alles in rauen Mengen kostenlos draußen vor der Stadt. Schmeckt er dir?«
»Ja. Schmeckt wie ein guter Bourbon.«
»Taffy hat mich angerufen. Sie ist wohlbehalten in Marxgrad angekommen. Sie hat erzählt, daß sie dir eine Nachricht hinterlassen hat.«
»Gut.«
»Ich nehme an, ihr habt euch heute bereits gesehen?«
»Ja. Gott sei Dank. Ich war vollkommen erledigt. Sie hat mich wieder aufgerichtet.« Ich nippte an meinem Glas. »Ich wünschte, ich hätte die Zeit, mich in guter Gesellschaft zu betrinken. Vielleicht ist es genau das, was ich jetzt brauche. Harry, hast du schon mal von einem Belter-Arzt namens Raymond Forward gehört?«
McCavity kratzte sich am Kopf. »Kommt mir irgendwie bekannt vor. Ja, er hat ein paar Lunie-Patienten. Spezialist in Fortpflanzungsproblemen.«
Futz. Naomi litt ganz sicher nicht unter Fruchtbarkeitsproblemen. »Er war ein paar Tage lang auf dem Mond. Möglicherweise hat er einen Patienten besucht?«
»Darüber müßte es Aufzeichnungen geben. Bei uns gibt es kerne Beschränkungen in der Fortpflanzung. Außer den natürlichen meine ich.«
»In Ordnung, ich werde Nachforschungen anstellen.«
»Was hat das alles zu bedeuten?«
»Forward war zur richtigen Zeit hier, und er hatte nur wenig Fracht dabei. Vielleicht besaß er hintergründige Motive.«
»Zur richtigen Zeit? Wofür?«
»Naomi. Vielleicht bin ich ja auf einer ganz falschen Fährte. Ich sollte nach einer Person Ausschau halten, die auf Chris Penzler geschossen hat … aber wenn Naomi nicht da war, wo sie gewesen zu sein vorgab … Ich schätze, es ist nicht mehr und nicht weniger als eine Ecke des Rätsels. Eine Spur, der ich nachgehen kann. Vielleicht hat sie jemanden getroffen. Vielleicht Antsie de Campo, vielleicht aber auch Forward. Könnte es zwei verschiedene Forwards geben?«
»Und beide Ärzte im Belt? Nun ja, ich schätze, es ist möglich.« Er nippte an seinem Glas. »War Naomi denn unfruchtbar?«
»Nein. Außerdem hat sie geschworen, niemals wieder ein Kind zu bekommen.«
»Dann fällt das also aus.«
»Kein Kind von einem anderen Mann.«
»Was?«
»Sie hat geschworen, niemals wieder ein Kind von einem anderen Mann zu empfangen. Dieser Forward – löst er Fruchtbarkeitsprobleme?«
»Ganz genau. Du hast einen Verdacht, oder nicht?«
»Klonen?«
»Falls alles andere versagt, kann er von einem Patienten auch einen Klon erzeugen, ja. Aber es ist unglaublich kostspielig.«
»Kann ich dein Telefon benutzen?«
»Ich aktiviere es für dich. Welche Nummer?«
Ich nannte sie.
Artemus Boone stand stirnrunzelnd im Eingang seines Büros.
»Ich wollte gerade gehen. Ich habe morgen früh um zehn nämlich noch einen Termin. Es sei denn, die Angelegenheit ist dringend?«
»Ich denke schon«, verriet ich Boones Abbild auf dem Schirm. »Betrachten Sie Naomi Mitchison noch immer als Ihre Klientin?«
»Selbstverständlich.«
»Ich muß mit Ihnen über den Fall sprechen. Es ist vertraulich.«
Er seufzte. »Also schön. Kommen Sie in mein Büro. Ich warte auf Sie.«
Ich wandte mich zu Harry McCavity um. »Danke für den Drink. Ich würde mich wirklich gerne mit dir zusammen betrinken, wenn diese ganze Geschichte vorüber ist, aber im Augenblick …«
Er winkte ab. »Wirst du mir je erzählen, was das alles zu bedeuten hat?«
»Es gibt nicht nur ein
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