Ringwelt 10: Hüter der Ringwelt

ihrer Zeit als Brüterin hatte sie von Natur aus mehr Intelligenz entwickelt als er; das Lebensbaum-Virus hatte an einem größeren, höher entwickelten Hirn arbeiten können. Und sie besaß auch mehr Erfahrung. Doch Tonschmied war schlauer als sie.
    Es sollte eine Art Bestechung sein, dass sie ihn jetzt ihr Schiff fliegen ließ. Das begriff Hanuman sehr wohl. Und er begriff auch, dass er ihr mit jeder seiner Bewegungen weitere Geheimnisse verriet. Hanuman ist ein ausgezeichneter Pilot, und er ist entbehrlich. Was war er bisher geflogen? Wie viel vermochte sie zu sehen? Wie viel wusste sie bereits? Sie lehnte sich zurück und beobachtete ihn.
     
    Er kreiste über blank gescheuertem Ringweltfundament, halb unter der Wolkendecke verborgen. Das Loch hatte sich geschlossen, doch noch immer war die Atmosphäre nicht zurückgeströmt, um den Unterdruck auszugleichen. Proserpina erklärte er: »Durch dieses Loch wäre die gesamte Luft der Ringwelt zu den Sternen hinausgeblasen worden. Tonschmied hat das verhindert.«
    »Wie?«
    »Das darf ich nicht sagen.«
    »Es reicht schon zu wissen, dass er dazu in der Lage ist. Wie bist du hierher gekommen? Ich habe kein Schiff gesehen, das groß genug gewesen wäre, als dass meine Ortungsgeräte es hätten wahrnehmen können.«
    »Das darf ich nicht sagen.«
    »Stepperscheiben. Louis Wu hat sie den Leuten von der ARM beschrieben. Wir müssen eine finden. Zeig mir die Wrackteile!«
    Hanuman ließ das Schiff über den riesigen, aufgeblasenen Ballon hinweggleiten, den Tonschmied als Stopfen für das Loch genutzt hatte – selbstverständlich hätte sie das Wrack auch ohne seine Hilfe gefunden –, und schwebte dann genau über den zerstörten Überresten eines Druckzeltes der ARM in der Luft. »Landen?«
    »Ja.«
    Sie streiften Druckanzüge über und gingen zwischen den Wrackteilen hindurch. Hanuman sah keinen Grund, ihre Fragen nicht zu beantworten. Die Fragen, die sie stellte, verrieten ihm ein wenig über ihre eigenen Gedanken und Absichten, obwohl Proserpina auf diese Weise mehr erfuhr als er.
    Sie befestigten den schweren Küchen-Doc am Frachtnetz und hoben dann wieder ab.
     
    Das Schlachtfeld war nicht als solches intakt geblieben. Proserpina durchquerte es, beobachtete zuerst nur, stellte dann Fragen. Hanuman versuchte, alles mit ihren Augen zu sehen. Die Sonarwaffen hatten weder Projektile verschossen, deren Überreste oder Einschläge man hätte erkennen können, noch Verbrennungen hinterlassen. Dort, wo Claus gestorben war, konnte man jetzt nur noch einen von Ameisen bedeckten Fleck erkennen. Hufabdrücke: kleine Herdentiere waren später über das Schlachtfeld hinweggetrampelt. Hand- und Fußabdrücke: Aasfresser waren vom Geruch des Blutes angelockt worden und hatten nichts mehr gefunden. Der Lander der ARM hatte Claus’ Leichnam mitgenommen.
    Kopfüber stand das Flugrad auf dem Rahmen und den Rückenlehnen der Sitze. Ringsherum und sogar auf dem Flugrad selbst waren weitere Spuren zu erkennen, die Aasfresser hinterlassen hatten. Ghouls hatten versucht, damit zu fliegen; Tonschmieds Sicherheitsvorkehrungen hatten funktioniert; und dann hatten die Ghouls sich noch ein wenig Spaß damit erlaubt.
    »Tonschmied ist klüger als du«, wagte Hanuman festzustellen. »Warum lässt du ihn nicht spielen? So hast du das doch schon seit ewigen Zeiten gehalten.«
    »Ich muss mich immer noch davon überzeugen, wie viel er wirklich kann. Ich muss mit ihm sprechen.«
    Das Flugrad war zu schwer, selbst für die beiden Protektoren gemeinsam. Hanuman kletterte darunter. Das Fahrzeug stieg ein Stück weit auf und drehte sich um die eigene Achse. Dann aktivierte der kleine Protektor den Holoschirm. Louis musste den Empfang deaktiviert, den Sender dabei aber aktiv gelassen haben. Und: Wie sollte er jetzt die durch die Lichtgeschwindigkeit bedingte Verzögerung verbergen, damit Proserpina auch weiterhin nicht Tonschmieds Position herausfinden konnte?
    Hanuman wusste nicht, wie er das bewerkstelligen sollte. Ganz offen sagte er: »Du kannst jetzt mit Tonschmied sprechen. Er kann uns noch nicht sehen. Stell dich auf eine Verzögerung von einer halben Stunde ein!«
    »Er befindet sich auf der anderen Seite des Bogens? Dann wird das Gespräch aber sehr mühselig. Stet, ich fange einfach an! Tonschmied!«, und dann heulte sie die Tonfolge, die Hanuman ihr als Tonschmieds echten Namen genannt hatte. »Du hast dich an der Grundstruktur der Ringwelt zu schaffen gemacht! Du musst bereits vermutet haben,