Ringwelt 11: Die Flotte der Puppenspieler
dass er sich erfolgreich an Bord der Explorer zurückteleportiert hatte. »Also, genauer gesagt: in ein paar Minuten«, stellte Kirsten klar – jetzt, wo ihr Gefährte nichts mehr dagegen sagen konnte. Einer von ihnen musste zurückgehen und berichten, was sie vorgefunden hatten, bevor ein anderer – nämlich sie – ein noch größeres Risiko einging.
Kirsten hatte alte Kalenderdaten erkannt; sie waren Teil der Seriennummern einiger der hier gelagerten Bauteile. Dicker Staub lag auf den Regalflächen und den meisten darauf deponierten Gegenständen. Und dieses flackernde Licht außerhalb des Lagerraumes hatte auch die letzten Zweifel beseitigt: Dieser Teil des Schiffes war schon seit langer, langer Zeit nicht mehr besucht worden. Niemals würden Bürger beschädigte LEDs, die den Weg zu den Notvorräten anzeigten, unrepariert lassen!
Mit einem beinahe unhörbaren Quietschen öffnete sich die Tür, kaum dass Kirsten sie berührt hatte.
Vorsichtig spähte Kirsten in den Korridor hinaus, sah aber niemanden. Jetzt fühlte sie sich wie ein sehr kleiner Fisch in einem sehr großen Aquarium, umklammerte ihren Kommunikator und rannte den geschwungenen Gang entlang, bis sie die filigrane Gangway erreichte, die zur Long Pass führte. Mit ein wenig Glück würde die Software das Zittern und Wackeln kompensieren, sodass Kirsten doch noch vernünftiges Bildmaterial würde aufnehmen können. Sie kroch auf die Gangway … doch, ja, es gab Schwerkraft! Kirsten konnte gefahrlos laufen.
Mit hämmerndem Herzen sauste Kirsten zur Luftschleuse des verlassenen Schiffes hinüber: Beide Luken standen offen. Kirstens Unterarm-Implantat meldete, dass sie noch fast vier Minuten Zeit hatte, bis sich die nächste Möglichkeit ergab, zurück an Bord der Explorer zu gehen. Mit dem Gedanken, jedes Schiff müsse so etwas wie eine Brücke aufweisen und jede Brücke gehöre zweifellos in den Bug, eilte Kirsten weiter.
Messerscharfe Kanten, ohne die rundlichen Verschmelzungswülste, wie sie die Bürger bevorzugten. Betten und Stühle, die Kirsten durch offen stehende Türen sah: Standardausführung für Kolonisten. Die Riegel der Luken: ebenso gewöhnlich und in genau der richtigen Höhe für Kolonisten befestigt. Die Deckenbeleuchtung, die sofort aufflammte, als Kirsten den Kopf in eine Kabine hineinstreckte, war genau auf ihre Augen abgestimmt und wirkte sehr angenehm. Der Holowürfel, den sie hinter einem kleinen klappbaren Regal entdeckte, zeigte Männer, Frauen und Kinder.
Viele Kleinigkeiten verrieten Kirsten eindeutig, dass dies hier ein Kolonisten-Schiff war. Oder sollte sie lieber Menschen-Schiff sagen?
Kirsten filmte weiter, während sie durch das gesamte Schiff hastete, immer noch auf der Suche nach der Brücke. Weniger als eine Minute, bis sie wieder Gelegenheit hatte, zur Explorer zurückzukehren. Sie sollte wirklich zum Lagerraum und der Stepperscheibe zurückkehren!
Kirsten rannte weiter.
Eine weitere Kabine, ihr ebenso vertraut wie alles, was sie von NSW 4 kannte. Ein größerer Raum, dessen Sinn und Zweck nicht erkennbar war: An der Wand hing eine gewöhnliche Liste, was es noch zu erledigen galt – aufgewelltes, brüchiges Papier. Und die einzelnen Punkte waren in englischer Sprache abgefasst. Überall gab es Holos. Ein Frachtraum, nur halb mit Regalen belegt – und ein Großteil der Regale ausgeräumt. Befestigungsvorrichtungen und Haltegurte an sämtlichen Brettern. Ob Schwerkraft oder Schwerelosigkeit: Das Schiff war eindeutig auf beides eingestellt.
Ein Piepton ertönte. »Ich bin in fünf Minuten da.« Kirsten wusste nicht genau, wem sie dieses Versprechen gerade gegeben hatte.
Endlich: die Brücke. Pilotenliegen. Instrumente, die eindeutig für Hände wie die ihren gemacht waren. Weitere Holos.
Kirsten erstarrte. Dieser leere Frachtraum! Zweifellos war sein Inhalt nach Hearth gebracht worden, um ihn dort studieren zu können. Wahrscheinlich befand sich die Fracht der Long Pass tief im Innersten des Instituts für Menschenforschung.
Vielleicht war dieses GP4-Schiff auf Hearth gelandet, und man hatte die Ladung dort gelöscht. Vielleicht hatte man die Fracht auch zu einem Hangar gebracht und dort in ein kleineres Bürger-Schiff umgelagert, um sie auf diese Weise nach Hearth zu bringen. Letztendlich war es auch egal. Die wichtige Erkenntnis war, dass die Fracht überhaupt fortgebracht worden war – und das ganz gewiss nicht über diese schmale Gangway dort hinten!
Kirsten hetzte zum leeren Frachtraum zurück.
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