Ringwelt 11: Die Flotte der Puppenspieler
Eos und dem Hintersten, die Nike zuvor fast zu verschlingen gedroht hatten, verschwanden jetzt. Das war nur noch eine entfernte, fast unbedeutende Gefahr im Hintergrund. »Bevor die Explorer aufgebrochen ist, wurde doch wohl – so nehme ich an – seitens General Products eine entsprechende Sicherung eingerichtet.«
Auf/ab, ab/auf, auf/ab: In enthusiastischer Zustimmung nickte Baedeker mit beiden Köpfen. Sah er darin etwa eine Wiedergutmachung seiner zahlreichen Fehler? »Selbstverständlich, Euer Exzellenz. Ich habe dafür keine gewöhnliche …«
»Details brauche ich nicht zu kennen.« Es war ein Fehler gewesen, mit der Mannschaft dieses Schiffes zusammenzutreffen, das begriff Nike jetzt. Er wollte gar keine Details kennen. Dass er in Kirsten, Omar und Eric mittlerweile Personen sah, machte das, was nun getan werden musste, umso schwieriger. Vielleicht war ja niemand von denen an Bord des Schiffes geblieben, das jetzt dem Untergang geweiht war. Tatsächlich hoffte Nike das sogar. »Tun Sie es einfach.«
KAPITEL FÜNFUNDZWANZIG
»Willkommen auf der Erde«, sagte die Verkehrsleitstelle.
»Es ist schön, wieder hier zu sein«, log Nessus. Er hoffte, das Gesicht seines Avatars wirkte aufrichtig genug. Jeder hier im Sonnensystem war der Ansicht, dieses Schiff würde von einem Menschen gesteuert.
Der Mojave-Raumhafen schien sich in die Unendlichkeit zu erstrecken. In der Ferne ragten zerklüftete Gebirgsketten auf. Ganz offensichtlich hatte der Raumhafen es seit Nessus’ letztem Besuch an Wartung vermissen lassen – kleine Pflanzen drängten sich durch die Risse im Asphaltbelag der Landefelder; einige davon waren schon groß genug, um vom Bordcomputer als Yuccapalmen und Josuabäume erkannt zu werden.
Die Aegis sah nicht anders aus als viele der anderen Schiffe, die hier standen. Trotz der tiefen Rezession, zu der es nach dem plötzlichen Verschwinden der General Products Corporation gekommen war – oder vielleicht gerade deswegen –, waren die unzerstörbaren Zellen hier sehr begehrt. Eine gebrauchte GP-Zelle kostete mittlerweile mehr, als sie im Neuzustand gekostet hatte.
Nessus saß auf seiner Steuerbank und zitterte vor Aufregung. Er befand sich wieder in einer manischen Phase, und es wäre töricht gewesen, nicht sofort zu handeln. »Computer, fortfahren wie geplant.« Dann ging Nessus in den Gemeinschaftsraum und wartete – schließlich war ein unerlässlicher Teil des Plans, dass ein menschliches Opfer unwissentlich mitarbeitete.
Einige Zeit lang befasste sich Nessus mit den Massenmedien der Menschen: Andeutungen über Korruption im Fruchtbarkeits-Komitee. Heftige Proteste. Opportunistische Politiker, die sich für die Einführung einer Geburtsrecht-Lotterie aussprachen. Übergriffe gegen ›gekaufte Babys‹.
Oberflächlich schien »Notwendigkeit«, eine so einfache Entschuldigung zu sein. Doch Nessus war zutiefst abgestoßen von dem, was er selbst herbeigeführt hatte, und schaute nicht mehr weiter zu. Die Berichte würden automatisch in den Bordarchiven abgespeichert; wenn Nessus es also jemals würde ertragen können, konnte er sich später immer noch damit befassen.
Jetzt konzentrierte er sich auf die Lebensgeschichte eines Menschen, die Nike besonders interessierte, eines Flatlanders namens Plutarch – doch in diesem Augenblick erklang ein Alarm. Über der Biografie, die Nessus gerade las, flammte eine Texteinblendung auf: Sangeeta Kudrin, stellvertretende Unterstaatssekretärin für Verwaltungsfragen der Vereinten Nationen.
Nessus blickte auf. Hinter einem Einwegspiegel hatte in einer Kabine aus GP-Zellen-Material eine Frau materialisiert. Sie war auffallend zierlich, hatte mandelförmige Augen und trug im Gesicht zahlreiche Piercings. Dazu trug sie einen konservativ geschnittenen braun-orangefarbenen Anzug. Die Hautbemalung, die Nessus bislang erkennen konnte, bestand vor allem aus zahlreichen Spiralen in unterschiedlichen Blautönen.
Die Frau wirkte geradezu panisch.
Nessus legte sein Lesegerät beiseite, als seine Besucherin mit beiden Fäusten gegen die Kabinenwände hämmerte. »Ihnen wird nichts geschehen.«
»Wo bin ich?«, wollte sie wissen. »Und wer sind Sie?« Nicht: Wie bin ich hier hergekommen? Nessus war beeindruckt. Sie hatte bereits verstanden, dass diese Entführung auf einen Eingriff in das Transferkabinen-System zurückzuführen sein musste. »Sie dürfen mich Nessus nennen.«
»Wo bin ich, Nessus?«
»Das ist unbedeutend.« Darüber ließ er sie einen
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