Ringwelt 11: Die Flotte der Puppenspieler
Kirsten die Darstellung: Sie ging in die erweiterte Darstellung … und erschauderte. Die unzugänglichen Dateien waren jetzt auch mit einem Datum gekennzeichnet und nach ihrer Erstellung sortiert. »Was auch immer sich in diesen Dateien befinden mag, sie sind auf jeden Fall älter als die Kolonie in Arcadia.«
KAPITEL ZWÖLF
Die Tapferkeit der letzten Tage forderte ihren Tribut.
Zusammengekrümmt kauerte Nessus in seinem Wohnraum, seine Stimmung schwankte zwischen Hochgefühl und schierer Panik. Das Zusammentreffen mit Nike hatte ihn zu sehr aufgewühlt, als dass an Schlaf auch nur zu denken gewesen wäre. Die Zeit, die sie gemeinsam verbracht hatten, war alles, was sich Nessus jemals erträumt hatte. Mehr noch! Und doch … Nike war zweifellos zu Größerem bestimmt. Wie konnte ein dahergelaufener Einzelgänger wie Nessus auch nur darauf hoffen, eine Vereinigung mit einem Bürger einzugehen, der sehr wohl der nächste Hinterste sein mochte?
Mit beiden Mündern zupfte sich Nessus an der Mähne; sämtlicher Zierrat, den er für das besondere Ereignis angelegt hatte, war bereits daraus gelöst. Um ganz ehrlich zu sein: Sonderlich geziert war er wahrlich nicht gewesen – nur ein paar wild zusammengeworfene bunte Bänder und einige schiefe Zöpfe. Nikes Frisur hingegen war ein echtes Kunstwerk gewesen! Was sollte Nike denn bloß über ihn denken?
So viel zu seiner prinzipiellen Ablehnung jeglicher Mähnenzier gegenüber!
Dieser Gedanke war Nessus nie zuvor gekommen, aber die Absicht, der nächste Hinterste zu werden und damit bewusst die Verantwortung für die ganze Konkordanz übernehmen zu wollen, erforderte eine ganz eigene Form des Mutes. Die Gefahren, denen man sich dabei würde stellen müssen, waren nicht körperlicher Natur, doch die Pflichten, die mit dieser Aufgabe kamen, waren ohne jeden Zweifel endlos und unüberschaubar. Wie konnte er, Nessus, auch nur darauf hoffen, sich mit einem derartigen Gefährten zu vereinigen? Und doch …
Die Zeit, die sie gemeinsam verbracht hatten, war fantastisch gewesen!
Fünfzig Tänzer, die in immer komplexeren Mustern umeinander wirbelten: Schneller und schneller klapperten die Hufe, bis es zu einem frenetischen Crescendo anschwoll. Danach wurde Nessus in eine Gesellschaft eingeführt, die mehr Zier und Schmuck trug, als er sich das jemals hatte vorstellen können … und dort stand er dann Flanke an Flanke mit einigen der einflussreichsten Personen der ganzen Konkordanz. Reihe um Reihe von Weidetischen, auf denen es ausschließlich frische, echt gewachsene Dinge gab: Körner und Wurzeln und frisch gepresste Säfte, ohne eine Spur der synthetischen Nahrung, von der sich die weitaus meisten Bürger ernährten.
Und all das hatte Nessus zusammen mit Nike erlebt! Das Muskelzittern verriet Nessus unverkennbar, dass er kurz davor stand, wieder in Depressionen zu verfallen – und so lehnte er sich mit aller Macht gegen sämtliche seiner Instinkte auf: Er suchte einen Ort auf, der ihn immer beruhigte.
Auf der Besuchergalerie im Harem-Haus herrschte stets Betrieb.
Angesichts des Lebens, das Nessus derzeit führte, hatte das Harem-Haus etwas äußerst Abstraktes: Nie wusste er, wo genau er sich befand – in welchem der mehr als eintausend Stockwerke, an welchem von einhundert körperlich erfahrbaren Orten. Bis Nessus nicht Teil eines eingetragenen Bündnisses geworden war – und bis diesem Paar nicht eine Lizenz ausgestellt worden war, die sie offiziell zu Gefährten machte –, würde dass Stepperscheiben-System ihn immer wieder zu einem beliebigen, rein nach dem Zufallsprinzip ausgewählten Zuschauerareal befördern. Wie oft Nessus auch hierher zurückkehrte, es war sehr unwahrscheinlich, dass er dieselbe Gefährtinnenherde zweimal zu Gesicht bekäme. Gemäß den gesellschaftlichen Gepflogenheiten geschah das zu Nessus’ eigenem Besten, damit er sich nicht in unziemlicher Weise zu einem einzelnen Weibchen hingezogen fühlte.
Dort, wo eine Bürger- Arcology Wohnräume und Büros beherbergen mochte, eng gepackt wie Bauklötze, sah Nessus hier eine offene, fast natürlich wirkende Landschaft. Weidegras breitete sich vor ihm aus, gelegentlich von Sträuchern und Baumstämmen unterbrochen sowie von Teichen und gurgelnden Bächen. Dank der Digitaltapete entstand der Eindruck, diese wogende Heidelandschaft würde sich bis zum virtuellen Horizont erstrecken. Über einen blauen Holo-Himmel jagten holografische Wolken hinweg. Die Paarungsfelder selbst befanden sich
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