Ringwelt 12: Weltenwandler
erfüllten den ganzen Himmel über dem geschäftigen Ballungszentrum. Alles wirkte völlig normal, und doch …
Einige Kilometer weiter im Süden, inmitten der höchsten aller Bürotürme von Manhattan, implodierte gerade der wichtigste Aktienmarkt des ganzen Solsystems.
Sonnenlicht glitzerte auf den kilometerhohen Türmen der Finanzwelt. Allgemein hieß es, wenn man erst einmal die Endgeschwindigkeit erreicht hat, sind die letzten Sekunden vor dem Aufprall völlig friedlich. Niemand konnte Sigmund erklären, woher man das eigentlich wusste.
Ein konstruktiver Gedankengang war das nicht. Sigmund verdunkelte die Wände wieder und fragte sich, wo er eigentlich anfangen sollte. Im Nachbarbüro summten 3D-TVs vor sich hin.
Überall im Bekannten Weltraum breitete sich, wie in Zeitlupe, die Katastrophe aus. General Products hatte die Schiffsrumpfkonstrukteure von drei Spezies aus dem Geschäft gedrängt – und jetzt war GP einfach verschwunden. Alleine schon die aufgegebenen Konstruktionsanlagen überhaupt erst wieder in Betrieb zu nehmen, würde die Arbeit von Jahren erfordern.
Die Wirtschaftskrise begann bei den Raumschiffkonstrukteuren und den interstellaren Liniengesellschaften. Von dort aus breitete sie sich zu den Subunternehmern und Investoren aus. Und dann zu all deren Angestellten, natürlich. Von dort aus ging es weiter: zur Bekleidungsindustrie, dem Gastronomiegewerbe, den Immobilien- und Grundstücksmaklern, den Energieversorgern …
Schon bald würde sich das Problem weltweit ausbreiten.
In einer plötzlichen Kaskade vereinigte sich das murmelnde Summen der 3D-TVs zu einem zunehmend lauteren Dröhnen: neue Robots, die sich auf bahnbrechende Neuigkeiten einstimmten. Sigmund musste erst noch seine persönlichen Grundeinstellungen auf den Computer in seinem neuen Büro übertragen. Vorsichtig streckte Sigmund den Kopf auf den Flur hinaus. Die Stimme aus der Nachrichtensendung konnte er noch nicht ganz zuordnen.
»Kommen Sie herein, Ausfaller!«, forderte ihn eine Nachbarin auf. Sie war eine zierliche Eurasierin mit entschieden zu vielen Piercings im Gesicht und einer unverkennbaren Vorliebe für die Farbe Blau.
Samantha? Selena? Sangeeta? An diesem Morgen waren Sigmund bereits mehr als zwei Dutzend Personen vorgestellt worden. Im Augenblick konnte er die ganzen Namen einfach nicht mehr auseinander halten. Er nickte nur.
Auf dem Holo wurde gerade irgendein astronomisches Phänomen dargestellt. Vielleicht ging es um irgendeinen Nebel, aber der hier war geradezu schmerzhaft grell und nur hin und wieder von schwarzen Flecken durchzogen.
»Schauen Sie sich diese Strahlungswerte an!«, stieß jetzt Sangeeta(?) hervor. »Als wäre man mitten in einer Sonnenprotuberanz, und das Schiff ist immer noch tausende von Lichtjahren davon entfernt. Und hören Sie sich doch nur mal an, wie die Kabinenbelüftung heult!«
›Davon entfernt‹. Wovon entfernt?, fragte sich Sigmund. Die Stimme, die er nicht ganz zuordnen konnte, sprach weiter. »… Kettenreaktion von Supernovae, aus langer, langer Vorzeit. Diese dunklen Flecken dort sind Sterne. Sie wirken schwarz, weil sie die ungleich heißere und grelle Strahlung aus dem Hintergrund verdecken.«
Ein verschnörkeltes Logo in der Bildecke: JBC. Die Jinx Broadcasting Company. Sigmund war es wohlvertraut – er hatte schon lange sämtliche Übertragungen via Hyperwelle nachverfolgt.
War das hier eine Art Wissenschaftsshow? Oder eine Simulation für Lehrzwecke? Worum sollte etwas Derartiges denn durch die Relevanzfilter im Hauptquartier der ARM als bemerkenswert markiert werden?
»Wir können von Glück reden, mehr als zwanzigtausend Lichtjahre davon entfernt zu leben. Und wir wüssten noch nicht einmal auch nur das Geringste darüber, wenn uns nicht dieses wahrlich erstaunliche Schiff zur Verfügung stünde.« Jetzt wich der gleißende Lichtfleck einer GP-Zelle Mark IV. Bei diesem kleinen Darstellungsmaßstab wirkte es, als sei der ganze transparente Schiffsrumpf vollständig mit Gerätschaften angefüllt. »Es ist mit einem experimentellen Hyperraumantrieb der Puppenspieler ausgestattet, der bis zu einem Lichtjahr pro Minute erreichen kann. Ich habe das Schiff zurückgebracht und meinen Bericht an General Products geschickt, meine lieben Auftraggeber. Und jetzt darf ich Ihnen allen davon berichten.«
Ein Lichtjahr pro Minute! Sigmund versuchte gerade noch, sich an diese Vorstellung zu gewöhnen, als am unteren Rand des Holos eine Laufschrift eingeblendet wurde.
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