Ripley Under Ground
ich kann mir nur ein Mittel der Überzeugung vorstellen. Ein schlimmes Mittel.«
»Was meinst du?« fragte Tom lächelnd, mit Angst im Herzen.
»Du hast ihn überredet, mich in Ruhe zu lassen. Aus Mitleid. Weil er Mitleid haben soll mit mir. Ich will aber kein Mitleid.«
»Von dir wurde gar nicht geredet, das ist doch klar.« Gern hätte er hinzugefügt: Du bist ja verrückt. – Bernard war verrückt oder mindestens zeitweise gestört. Und doch war das, was Bernard sagte, genau das, was Tom im Keller versucht hatte, bevor er Murchison umbrachte: er hatte versucht, ihn zu überreden, er solle Bernard in Ruhe lassen, denn Bernard werde keine weiteren ›Derwatts‹ mehr malen. Tom hatte sogar versucht, bei Murchison Verständnis zu wecken für Bernards Verehrung für Derwatt, sein totes Idol.
»Ich kann mir nicht vorstellen, daß Murchison sich überzeugen ließ«, sagte Bernard. »Du versuchst doch nicht etwa, mir durch Lügen zu helfen, Tom –? Von Lügen habe ich nämlich reichlich genug.«
»Nein.« Tom war nicht wohl zumute; er log ja. Es kam nicht oft vor, daß Tom sich wegen einer Lüge ungut fühlte. Er sah schon, irgendwann mußte er Bernard sagen, daß Murchison tot war. Nur so konnte er ihn beruhigen – jedenfalls teilweise, was die Fälschungen betraf. Aber jetzt war es unmöglich, ihm so etwas zu sagen, bei diesem irrsinnigen Sturm und dem Zustand, in dem sich Bernard befand. Er würde glatt tobsüchtig werden. »Ich komme gleich wieder«, sagte Tom. Bernard stand sofort vorn Bett auf und ging ans Fenster, gerade als der Wind einen Regenschauer an die Scheiben schlug.
Tom fuhr zusammen, während Bernard ganz ruhig blieb. Tom ging hinüber in sein Zimmer und holte ein paar Sachen für Bernard: einen Schlafanzug, einen Morgenrock, Slippers und eine neue Zahnbürste, die noch in der Plastikhülle lag. Die Zahnbürste brachte er ins Bad für den Fall, daß Bernard keine bei sich hatte; die anderen Sachen brachte er ihm in sein Zimmer. Er sagte Bernard, er gehe jetzt nach unten, falls er irgend etwas brauchte, und riet ihm, sich eine Weile auszuruhen.
Chris war in sein Zimmer gegangen, das sah Tom am Licht. Durch den Sturm erschien das Haus ganz unnatürlich dunkel. Tom ging in sein Schlafzimmer und holte Bertolozzis Zahnpastatube aus der Schublade. Wenn man das untere Ende aufrollte, war die Tube noch zu gebrauchen, und es war besser, sie aufzubrauchen, als sie wegzuwerfen und zu riskieren, daß Mme. Annette sie im Abfalleimer fand: unerklärlich und reine Verschwendung. Tom nahm seine eigene Zahnpasta vom Waschtisch und brachte sie in das von Chris und Bernard gemeinsam benutzte Bad.
Was zum Teufel sollte er bloß mit Bernard anfangen? Wenn nun die Polizei noch einmal kam und Bernard dabei war, so wie Chris dabei gewesen war? Bernard verstand sicher ganz gut Französisch.
Tom setzte sich hin und schrieb einen Brief an Heloise. Immer beruhigte es ihn, wenn er an sie schrieb. Hatte er sprachliche Zweifel wegen des Französischen, so machte er sich gewöhnlich nicht die Mühe, im Wörterbuch nachzusehen; seine Fehler amüsierten Heloise.
22. Oktober 19- Heloise chérie,
ich habe gerade Besuch von einem Vetter von Dickie Greenleaf, ein netter Junge, er heißt Christopher; bleibt ein paar Tage. Er ist zum erstenmal in Paris. Merkwürdig, nicht – daß einer mit zwanzig Jahren Paris zum erstenmal sieht? Er ist erstaunt über die Größe der Stadt. Er kommt aus Kalifornien.
Wir haben heute furchtbaren Sturm. Alle sind nervös.
Viel Regen und Wind.
Du fehlst mir. Hast Du den roten Badeanzug bekommen? Ich habe Mme. Annette gesagt, sie soll ihn mit Luftpost schicken, und habe ihr massenhaft Geld gegeben. Wenn sie ihn nicht mit Luftpost geschickt hat, kriegt sie Prügel. Alle fragen nach Dir und wann Du wiederkommst. Ich war zum Tee bei den Grais. Ich bin so allein ohne Dich. Komm bald wieder, dann nehme ich Dich in die Arme, und wir schlafen zusammen ein.
Dein einsamer Tom Tom frankierte den Brief und nahm ihn mit nach unten, wo er ihn auf den Tisch in der Diele legte.
Christopher war jetzt im Wohnzimmer; er saß auf dem Sofa und las. Als Tom eintrat, sprang er auf. »Hören Sie, Tom –«, er sprach leise. »Was ist mit Ihrem Freund los?«
»Er hat eine Krise durchgemacht, in London. Irgendwas mit seiner Arbeit deprimiert ihn. Und ich glaube, er hat – er hat sich von seiner Freundin getrennt oder sie sich von ihm, das weiß ich nicht.«
»Kennen Sie ihn gut?«
»Nicht allzu gut, nein.«
»Ich dachte nur
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