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Ripley Under Ground

Ripley Under Ground

Titel: Ripley Under Ground Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Highsmith
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irgendeinem Grund mehr Angst vor einem englischen als vor einem französischen Detektiv, obgleich die Franzosen, was bürokratische Kleinarbeit und Beharrlichkeit anging, nicht zu übertreffen waren.
Es galt jetzt zwei Dinge zu tun: die Leiche aus dem Wald und Chris aus dem Haus zu schaffen. Und Bernard? Hier versagte sein Denkapparat.
Er ging nach unten. Chris las im Wohnzimmer, doch jetzt gähnte er und stand auf. »Gerade wollte ich zu Bett gehen. Was macht Bernard? Ich fand ihn eigentlich besser beim Essen.«
»Ja, ich glaube auch.« Es war Tom gräßlich, was er jetzt sagen mußte oder andeuten, was noch schlimmer war.
»Ich hab einen Fahrplan gefunden, neben dem Telefon. Es gibt einen Zug morgens um neun Uhr zweiundfünfzig und einen um elf Uhr zweiunddreißig. Von hier zum Bahnhof kann ich ein Taxi nehmen.«
Tom war sehr erleichtert. Es gab noch frühere Züge, aber die konnte er nun wirklich nicht gut vorschlagen. »Schön – nehmen Sie nur, welchen Sie wollen, Chris. Ich bring Sie zum Bahnhof. Ich weiß noch nicht recht, wie es mit Bernard aussieht, aber ich glaube, er möchte gern ein paar Tage mit mir allein sein.«
»Ich hoffe nur, daß es ungefährlich ist«, sagte Chris ernsthaft. »Wissen Sie, ich hatte schon vor, noch einen oder zwei Tage hierzubleiben, nur damit Sie jemand zur Hand haben, falls es nötig sein sollte.« Halblaut fügte er hinzu: »Ich hab das mal erlebt, in Alaska – da war ich als Soldat –, da hatten wir einen Mann, der plötzlich verrückt wurde, und der war ganz ähnlich wie Bernard. Auf einmal wurde er wild und schlug einfach um sich.«
»Na, ich glaube nicht, daß Bernard das tun wird. Vielleicht können Sie mit Ihrem Freund Gerald noch mal herkommen, wenn Bernard fort ist. Oder wenn Sie aus dem Rheinland zurück sind.«
Chris strahlte.
Als sein Gast schlafen gegangen war (er hatte sich für den Zug um neun Uhr zweiundfünfzig entschieden), schritt Tom im Wohnzimmer auf und ab. Es war jetzt fünf Minuten vor Mitternacht. Mit der Leiche mußte noch heute nacht etwas geschehen. Aber es war reichlich mühsam für einen allein, den Körper im Dunkeln auszugraben, in den Kombiwagen zu legen und ihn dann irgendwo abzuladen. Wo überhaupt? Vielleicht unter irgendeiner kleinen Brücke. Tom überlegte, ob er Bernard um Hilfe bitten sollte. Wenn er mit der Realität konfrontiert wurde: würde er dann zurückschrecken oder mitmachen? Tom spürte, er werde bei dem jetzigen Stand der Dinge Bernard von seiner Geständnisabsicht nicht abbringen können. Ob ihm die Leiche vielleicht einen solchen Schock versetzte, daß er den Ernst der Lage erkannte?
Eine verdammt schwierige Frage.
Ob Bernard, wie Kierkegaard es nannte, den Sprung in den Glauben tun würde? Tom lächelte, als ihm der Ausdruck in den Sinn kam. Er selbst hatte den Sprung getan, als er nach London fuhr und Derwatts Rolle spielte. Der Sprung war auch gelungen. Dann hatte er einen zweiten Sprung getan und Murchison umgebracht. Ach, zum Teufel – wer nicht wagt, gewinnt nicht.
Tom ging zur Treppe, mußte aber jetzt langsamer gehen, weil sein Fuß ihm weh tat. Er blieb stehen, den schmerzenden Fuß auf der untersten Stufe, die Hand auf dem Goldengel, der den Treppenpfosten bildete. Ihm war gerade eingefallen, daß Bernard, falls er heute abend nicht mitmachte, ebenfalls beseitigt werden mußte. Umgebracht. Tom wurde fast übel. Er wollte Bernard nicht töten. Vielleicht würde er es gar nicht können. Wenn Bernard also nicht mitmachte und auch noch die Sache mit Murchison in seine Beichte aufnahm – Tom stieg nach oben.
Der Flur war dunkel bis auf das schwache Licht aus Toms Schlafzimmer. Bernard hatte kein Licht mehr, auch Chris nicht, aber das mußte nicht heißen, daß Chris schon schlief. Es fiel Tom nicht ganz leicht, die Hand zu heben und an Bernards Tür zu klopfen. Er klopfte leise, denn Chris´ Zimmer war keine drei Meter entfernt, und er wollte verhindern, daß Chris lauschte, in der Absicht, ihn vielleicht vor einem möglichen Angriff von Bernard zu schützen.
12
    Von Bernard kam keine Antwort. Tom öffnete die Tür, trat ein und schloß sie hinter sich.
»Bernard?«
»Hm-m-? Tom?«
»Ja. Entschuldige. Kann ich Licht anmachen?«
»Ja, natürlich.« Bernards Stimme klang ganz ruhig, er machte die Nachttischlampe selber an. »Was ist denn los?«
»Ach, gar nichts. Ich muß nur mit dir sprechen, und zwar leise. Chris soll uns nicht hören.« Tom zog den Stuhl nahe an Bernards Bett und setzte sich. »Bernard – ich bin im

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