Ripley Under Ground
kirchlich getauft – und was haben sie davon?« Heloise hatte gelacht, aber die Eltern nicht. Auf vorsichtiges Fragen hatten sie dann herausbekommen, daß Tom in Amerika nicht getauft worden war – seine Angaben waren hier etwas vage, aber jedenfalls hatte seine Tante Dottie eine Taufe niemals erwähnt. Seine Eltern waren ertrunken, als er noch ganz klein war; von ihnen hatte er daher niemals etwas über die Sache erfahren. Aber er konnte unmöglich den Plissons, die katholisch waren, erklären, daß in Amerika Taufe und Messe und Beichte und durchbohrte Ohrläppchen und Hölle und die Mafia alles irgendwie katholisch und nicht protestantisch anmutete. Er war zwar vermutlich keins von beiden, aber jedenfalls stand es fest, daß er nicht katholisch war.
Heloise hatte für ihn am meisten Leben, wenn sie einen Wutanfall bekam. Es gab da verschiedene Arten. Die Anfälle wegen einer verspäteten Lieferung von irgendwas aus Paris zählte Tom gar nicht. Bei solchen Gelegenheiten schwor Heloise, den-und-den Laden werde sie nie, nie wieder betreten; aber diese Schwüre wurden selten gehalten. Dramatischer waren die Zornesausbrüche aus Langeweile oder verletzter Eitelkeit; sie kamen auch vor, wenn ein Gast ihr bei Tisch widersprochen oder sie widerlegt hatte. Sie nahm sich zwar zusammen, bis der Gast oder die Gäste das Haus verlassen hatten, und das war bei ihr schon allerhand; doch sobald die Tür zugefallen war, lief sie wie eine Tigerin im Zimmer auf und ab, tobte, warf die Kissen an die Wand und schrie: »Fousmoi la paix! Salauds!« mit Tom als einzigem Zuhörer. Er sagte dann irgend etwas Beschwichtigendes, das nicht zur Sache gehörte, und damit war Heloises Zorn plötzlich verraucht. Eine Träne rollte aus jedem Auge, und im nächsten Moment konnte sie schon wieder lachen. Das war wohl ihr lateinisches Erbe – englisch war es jedenfalls nicht.
Tom ging hinaus in den Garten und arbeitete dort etwa eine Stunde lang; dann las er eine Weile in Les Armes Secrètes von Julio Cortazar. Darauf ging er nach oben und machte das Porträt von Mme. Annette fertig. Heute war Donnerstag, da hatte sie Ausgang. Um sechs bat er Heloise, hereinzukommen und sich das Bild anzusehen.
»Du, das finde ich nicht schlecht. Du hast es im einzelnen nicht sehr ausgeführt, das habe ich gern. Es gefällt mir.«
Das freute Tom. »Sag ihr nichts davon«, bat er und stellte das Bild zum Trocknen mit dem Gesicht an die Wand.
Sie machten sich fertig zum Essen bei Berthelins. Kleidervorschriften gab es nicht, sie gingen in Leinenhosen. Vincent, wie viele Ehemänner, arbeitete in Paris und kam nur zum Wochenende aufs Land hinaus.
»Was hat Papa gesagt?« wollte Tom wissen.
»Er freut sich, daß ich wieder da bin.«
Papa – das wußte Tom – hielt nicht allzuviel von seinem Schwiegersohn; andererseits hatte er aber das vage Gefühl, daß Heloise ihren Mann vernachlässigte. Hier lag offenbar die Bürgertugend im Streit mit der Spürnase für gewisse Charaktereigenschaften. »Und Noëlle?« fragte er weiter. Noëlle war eine Freundin von Heloise, die in Paris wohnte.
»Och, die auch. Sie sagt, sie langweilt sich so. Sie hat den Herbst nie gemocht.«
Berthelins waren ganz wohlhabende Leute, sie hatten aber das kleine Landhaus absichtlich primitiv gehalten: die Toilette war draußen, und in der Küche gab es kein heißes Wasser. Wasser wurde in einem Kessel erhitzt, der auf dem Holzfeuerherd stand. Die andern Gäste – das englische Ehepaar Clegg – waren etwa fünfzig, im gleichen Alter wie die Gastgeber. Der Sohn der Berthelins, den Tom noch nicht kannte, war dunkelhaarig und zweiundzwanzig (das verriet Vincent Tom in der Küche, während sie beide Ricards tranken und Vincent kochte); er lebte mit seiner Freundin zusammen in Paris und war im Begriff, das Architekturstudium auf der Hochschule für bildende Künste abzubrechen, was Vincent in bösen Zorn versetzte. »Das Mädchen ist das nicht wert!« empörte er sich. »Typisch für den Einfluß Englands hier!« Vincent war Gaullist.
Das Essen war ausgezeichnet: Huhn mit Reis, Salat, Käse und Apfeltorte, die Jacqueline gebacken hatte. Toms Gedanken wanderten. Aber er war guter Laune und sah lächelnd zu Heloise hinüber, die fröhlich von ihren griechischen Abenteuern erzählte. Nach dem Essen probierten alle den Ouzo, den sie mitgebracht hatte.
»Ein widerliches Zeug, dieser Ouzo! Schlimmer als Pernod!« sagte Heloise zu Hause, als sie vor dem Waschtisch stand und sich die Zähne bürstete. Sie war
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