Riptide - Mörderische Flut
dreizehn Jahre alten Kindes mit kurzen blauen Kattunhosen, einer Baseballmütze und…«
»Ja«, hauchte Hatch, dem auf einmal so schwindelig wurde, daß er sich setzen mußte. »Ja, das ist er.« Ihm wurde ganz weich in den Knien, und in seinem Kopf verspürte er eine seltsame Leere.
Eine ganze Minute lang war es in dem Kontrollraum vollkommen still.
»Ich will ihn mit eigenen Augen sehen«, sagte Hatch schließlich.
»Das ist uns klar«, meinte Bonterre und half Hatch sanft beim Aufstehen. »Kommen Sie.«
»Wir müssen einen Schacht hinunterklettern«, erklärte Neidelman. »Außerdem ist der Stollen noch nicht völlig abgestützt. Es könnte also durchaus gefährlich werden.« Hatch winkte ab.
Er zog sich Ölzeug an und stieg zusammen mit den anderen auf die Plattform des kleinen elektrischen Lifts, der sie leise summend nach unten brachte. Die nächsten Minuten vergingen für ihn wie in einem trüben Nebel. Sogar seine Finger, mit denen er sich an das Geländer der Liftplattform krallte, kamen ihm im gelblichen Licht der Grube grau und leblos vor. Neidelman und Bonterre hatten ihn in ihre Mitte genommen, und ein paar Arbeiter sahen ihnen von den oberen Plattformen aus zu, wie sie immer tiefer in die Grube hineinfuhren.
An der Dreißig-Meter-Plattform stoppte Neidelman den Lift und ging voran in die dunkle Öffnung des Tunnels, an dessen Ende die achteckige Kammer lag. Hatch zögerte.
»Das ist der einzige Weg«, sagte Neidelman.
Hatch folgte ihm in den Tunnel, an dessen Eingang jetzt ein großer Luftfilterkasten stand. Drinnen wurde die Decke in gewissen Abständen von Titanstreben mit breiten Metallplatten an den oberen Enden stabilisiert. Nach ein paar alptraumhaften Schritten erreichte Hatch die Kammer, in der Wopner gestorben war. Die große Steinplatte, die sich noch immer dicht an der Wand befand, kam ihm wie ein schauriges Denkmal für den toten Programmierer und die Maschinerie des Todes vor, die ihn auf dem Gewissen hatte. Zwei Hebeböcke spreizten die Platte, deren Innenseite einen im Licht der hellen Lampen rostfarben schimmernden Fleck aufwies, immer noch so ab, wie es für die Entfernung von Wopners Leiche nötig gewesen war. Hatch konnte nicht hinsehen.
»Wollen Sie immer noch hinunter?« fragte Neidelman.
Unter Aufbietung all seiner Willenskraft zwang sich Hatch dazu, an dem Stein mit dem rostroten Fleck vorbei in die Mitte des Raumes zu gehen.
Das Eisengitter im Boden war entfernt worden, und eine Strickleiter hing in das Loch hinab, das es früher einmal bedeckt hatte.
»Unser Vermessungsteam, das sich erst seit gestern richtig um die Nebenschächte und -tunnels kümmern kann, hat berechnet, daß sich dieser Schacht eigentlich mit dein Stollen schneiden müßte, der hinüber zum Strand läuft und den Sie als Junge entdeckt haben«, erklärte Neidelman. »Also entfernten wir das Gitter und schickten jemanden hinab, um sich dort umzusehen. Nachdem der Mann einen wasserdichten Verschluß durchbrochen hatte, erreichte er tatsächlich den Stollen.« Neidelman trat an das Loch. »Ich gehe als erster. Warten Sie hier.«
Der Kapitän verschwand auf der Strickleiter in der dunklen Tiefe, und Hatch blieb oben stehen und konnte an nichts anderes denken als den eisigen Hauch, der aus der Finsternis zu ihm aufstieg. Ohne ein Wort zu sagen nahm Bonterre seine Hand in die ihre.
Als sie Neidelman nach ein paar Minuten rufen hörten, ließ Hatch sich in das Loch hinab und ergriff die Sprossen der Strickleiter.
Der Schacht war nur etwa einen Meter breit und wand sich nach ein paar Metern um. einen großen Felsblock herum. Als Hatch am Boden angelangt war, versanken seine Schuhe in weichem fauligem Schlamm. Er sah sich um und spürte ein Grauen in sich aufsteigen, das alles andere auszulöschen drohte.
Er befand sich in einer kleinen, aus hartem, dicht gepacktem Geschiebelehm gehauenen Kammer, bei deren Anblick er unwillkürlich an einen Kerker denken mußte. Dann aber entdeckte er, daß eine der Wände nicht ganz bis zum Boden hinabreichte. In Wirklichkeit war es gar keine Wand, sondern eine große, roh behauene Felsplatte. Neidelman, der in der kleinen Kammer auf Hatch gewartet hatte, leuchtete mit einer Taschenlampe in den Spalt unter der Platte, aus dem etwas Weißes hervorschaute.
Hatch, dem das Herz bis zum Hals schlug, trat einen Schritt vor und bückte sich. Dann hakte er seine Taschenlampe vom Gürtel und schaltete sie ein.
Unter der Steinplatte lag ein Skelett eingeklemmt, auf dessen
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