Riptide - Mörderische Flut
hinten.«
»Die haben reiche New Yorker gebaut, die ihre Sommerferien in Black Harbor verbracht haben«, erklärte Hatch. »FDR höchstpersönlich war auf der sechzehn Kilometer nördlich von hier gelegenen Insel Campobello Island häufig in der Sommerfrische.«
»Wer ist FDR?« fragte Bonterre stirnrunzelnd.
»Franklin D. Roosevelt, der Präsident.«
Sie nickte. »Stimmt. Ich habe ganz vergessen, daß ihr Amerikaner es liebt, die Namen eurer Präsidenten abzukürzen. JFK, LBJ und so weiter.« Sie riß erstaunt die Augen auf. »Aber was sehe ich denn da? Sie malen ja! Soviel künstlerischen Tiefgang hatte ich gar nicht bei Ihnen vermutet, Monsieur le docteur .«
»Sie sollten sich Ihr Urteil besser aufheben, bis Sie das fertige Produkt gesehen haben«, erwiderte Hatch und tupfte mit kurzen Pinselstrichen den Kiesstrand aufs Blatt. »Ich beschäftige mich seit meinem Studium ein wenig mit der Malerei, bei der ich mich schon immer gut entspannen konnte. Aber erst nach und nach habe ich herausgefunden, daß mir Aquarelle am meisten liegen. Besonders, wenn man Landschaften wie diese hier malen kann.«
»Da haben Sie recht«, sagte Bonterre bewundernd und deutete auf die Muschelhaufen. » Mon dieu , sind die gewaltig!«
»Stimmt. Die untersten dieser Austernschalen sollen an die dreitausend Jahre alt sein, wogegen die obersten aus dem frühen siebzehnten Jahrhundert stammen, als die Indianer von hier vertrieben wurden.« Hatch deutete flußaufwärts. »Es gibt an diesem Fluß noch eine ganze Reihe weiterer prähistorischer Indianerlager. Und auf Rackitash Island finden sich recht sehenswerte Überreste des Micmac-Stammes.«
Bonterre ging hinüber zum nächsten Muschelhaufen und untersuchte dessen unterste Schicht. »Aber wieso haben die Indianer die Schalen denn immer auf denselben Haufen geworfen?« fragte sie Hatch.
»Das weiß man nicht. Es hat ihnen bestimmt eine Menge Mühe bereitet. Irgendwo habe ich mal gelesen, daß sie einen religiösen Grund dafür gehabt haben sollen.«
Bonterre brach in Lachen aus. »Aha. Einen religiösen Grund. Das behaupten wir Archäologen immer, wenn wir etwas nicht erklären können.«
Hatch nahm einen anderen Pinsel zur Hand. »Sagen Sie mir doch bitte eines, Isobel«, bat er. »Was verschafft mir die Ehre Ihres Besuchs? Sie haben doch bestimmt etwas Besseres an einem Sonntagnachmittag zu tun, als einem alternden Junggesellen wie mir hinterherzufahren.«
Bonterre grinste spitzbübisch. »Ich wollte herausfinden, weshalb Sie mich nicht um ein zweites Rendezvous gebeten haben.«
»Das ist ganz einfach. Ich dachte, daß Sie mich seit dem letzten Mal für ein Weichei halten. Erinnern Sie sich noch daran, wie Sie gesagt haben, daß wir Yankees kein Mark mehr in den Knochen hätten?«
»Das stimmt allerdings, aber deshalb halte ich Sie noch lange nicht für ein Weichei, was immer das sein soll. Ich würde Sie eher für ein Überraschungsei halten, das auf die richtige Frau wartet, um es auszupacken.« Sie nahm eine Austernschale und warf sie in hohem Bogen ins Wasser. »Die Frage ist nur, was für eine Überraschung sich darinnen verbirgt.«
Hatch widmete sich wieder seinem Bild. Bei dieser Art von verbalem Schlagabtausch würde Bonterre immer als Siegerin hervorgehen.
Sie wandte sich von den Muschelhaufen ab und kam wieder auf Hatch zu. »Außerdem wollte ich herausfinden, ob Sie sich hier mit dieser anderen Frau treffen.«
Hatch sah sie fragend an.
»Na, Sie wissen schon. Mit der Frau des Reverends. Ihrer guten alten Freundin.«
»Das ist sie tatsächlich; und mehr auch nicht«, entgegnete Hatch barscher, als er eigentlich vorgehabt hatte. Bonterre musterte ihn fragend, und er seufzte leise. »Das hat sie mir erst neulich unmißverständlich klargemacht.«
Bonterre hob die Augenbrauen. »Und jetzt sind Sie enttäuscht.«
Hatch ließ den Pinsel sinken. »Um ehrlich zu sein, ich wußte nicht, was mich erwartete, als ich nach Stormhaven zurückkam. Aber sie hat mir klipp und klar gesagt, daß unsere Beziehung der Vergangenheit angehört. Sie hat mir sogar einen Brief geschrieben. Das hat ziemlich weh getan. Aber wissen Sie was? Sie hat vollkommen recht.«
Bonterre sah ihn an und fing langsam an zu lächeln.
»Weshalb grinsen Sie?« fragte Hatch. »Über den Onkel Doktor und seinen Liebeskummer? Mit so was haben Sie doch bestimmt Erfahrung.«
Bonterre lachte laut auf und weigerte sich, den Köder zu schlucken. »Ich lächle, weil ich erleichtert bin, Monsieur. Sie haben
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