Riptide - Mörderische Flut
plötzlich einen Schmerz im linken Ohr.
Ein Streifschuß hatte ihm die Ohrmuschel zerfetzt. Hatch preßte die Hand auf die blutende Wunde und hetzte in die schmale Abzweigung hinein. Nach ein paar Metern traute er sich nicht mehr weiterzugehen. Er blieb stehen und drückte sich mit dem Rücken an die Stollenwand. Dort wartete er angespannt in der tiefen Dunkelheit. Beim nächsten Mündungsblitz wollte er zurück in den Hauptstollen rennen und sich auf Streeter stürzen. Vielleicht rannte dieser in seiner Eile ja auch bis in die Abzweigung hinein.
In der rabenschwarzen Stille vernahm. Hatch ein leises Tappen, das kaum lauter als das Schlagen seines eigenen Herzens war. Streeter tastete sich an der Tunnelwand entlang. Jetzt konnte Hatch sogar seinen Atem hören. Streeter wollte offenbar Munition sparen, von der er vermutlich nur einen begrenzten Vorrat dabeihatte. Vielleicht mußte er sogar…
Plötzlich sah Hatch wieder einen Blitz und hörte einen Schuß gellen. Bevor Streeter erneut abdrücken konnte, warf sich Hatch mit dem Mut der Verzweiflung nach vorn, erhielt aber einen gewaltigen Schlag auf den Kopf. Auf einmal sah er ein grelles Licht, das alles andere rings um ihn auslöschte.
50
Vorsichtig stieg Bonterre den schmalen Weg vom Basislager zum Orthanc hinauf und hielt sich dabei, so gut es ging, im Schutz der Felsen. Alle paar Minuten blieb sie stehen und lauschte in die Dunkelheit, die außerhalb des Lagers so absolut war, daß sie manchmal mit den Händen nach dem Plastikband tasten mußte, mit dem der Pfad markiert war. An manchen Stellen hatte der Sturm es zerrissen, und seine Enden flatterten im Wind. Der schlammige Weg führte erst ein Stück nach oben, dann fiel er wieder ab. Bonterre war bis auf die Knochen durchnäßt, der Regen rann ihr in breiten Rinnsalen von Kinn, Ellbogen und Händen.
Mehrere hundert Meter weiter vorn konnte Bonterre den Orthanc mit seinen hell erleuchteten Fenstern und den drei Blinklichtern an der Spitze ausmachen. Davor stand ein kleines Geländefahrzeug, dessen dicke Reifen vom Regen glänzten; im Schlepptau hatte es zwei große Metallcontainer. Unterhalb des Turmes schimmerte ein gespenstisches Licht aus der Wassergrube herauf, und durch das Heulen des Sturmes konnte Bonterre das Klappern von Maschinen und das Rumpeln der Entlüftungspumpen hören.
Hinter den Fenstern des Orthanc bewegte sich langsam eine dunkle Gestalt.
Bonterre schlich sich, das hohe Gras als Deckung nutzend, langsam an den Turm heran. Dreißig Meter davor blieb sie stehen und versteckte sich hinter einem Teerosenbusch. Von hier aus hatte sie eine gute Sicht. Bonterre wartete, bis die Gestalt im Orthanc, die ihr den Rücken zudrehte, etwas mehr ins Licht geriet. Sie erkannte die breiten Schultern und das lange schmutzigblonde Haar von Rankin, der sich allein im Kontrollraum aufzuhalten schien.
Bonterre dachte nach. Möglicherweise wußte ja Rankin, wie man den Geigerzähler, den sie unter ihrem Ölzeug, so gut es ging, vor dem Regen schützte, bedienen mußte. Zumindest würde er mehr Ahnung davon haben als sie. Aber konnte sie den Geologen ins Vertrauen ziehen?
Streeter hatte versucht, sie und Hatch zu töten, und Bonterre fragte sich immer noch, weshalb. Gut, er hatte Hatch von Anfang an gehaßt, aber das war noch lange kein Grund für ein derartiges Verhalten. Außerdem war ihr Streeter bisher nicht wie ein Mann vorgekommen, der zu Kurzschlußreaktionen neigte.
Vielleicht handelte der Vorarbeiter ja im Auftrag von jemand anderem, denn Hatch hatte immerhin gedroht, die Schatzsuche abbrechen zu lassen.
Trotzdem konnte sich Bonterre einfach nicht vorstellen, daß auch der gutmütige, offenherzige Rankin In ein Mordkomplott verwickelt sein sollte. Was Neidelman anbetraf… Sie gestattete es sich nicht, diesen Gedanken zu Ende zu denken.
Ein Blitz fuhr aus dem Himmel, und der gleich darauf folgende Donnerschlag ließ Bonterre zusammenzucken. Aus der Richtung des Basislagers hörte sie ein scharfes Knistern und wußte sofort, daß nun auch der zweite Generator ausgefallen war. Die Lichter an der Spitze des Orthanc hörten einen Augenblick lang auf zu blinken, und kurze Zeit später wurde der Turm ins orangefarbene Licht der Notbeleuchtung getaucht. Bonterre drückte den Geigerzähler fest an Ihren Körper. Sie konnte nicht mehr länger warten. So oder so, sie mußte jetzt eine Entscheidung fällen.
51
AIs Hatch in dem finsteren Tunnel wieder zu sich kam, lag er mit dem Gesicht im Schlamm. Sein
Weitere Kostenlose Bücher