Riptide - Mörderische Flut
Insel, die man sicheren Fußes betreten konnte, und auf der einsamen Wiese hinter der Pier hatte man eine richtige kleine Stadt aus dem Boden gestampft. Hinter den Wohnwagen und Wellblechbaracken waberten die Dieselabgase einer ganzen Reihe von starken Stromgeneratoren in die sommerliche Luft. Daneben standen zwei große Kraftstofftanks, und mit wetterfesten Schutzhüllen aus weißem PVC versehene Stromund Datenkabel liefen in dicken Bündeln über den schlammigen Boden. Mitten in dem ganzen Durcheinander befand sich die Kommandozentrale Island One, die aus einem doppelt breiten, mit Computern und Datenübertragungsgeräten vollgestopften Wohnwagen bestand.
Hatch band das Dingi fest und ging über einen hinter der Pier beginnenden Trampelpfad ins Basislager. Dort betrat er eine Wellblechbaracke, auf der mit großen Lettern ARZT geschrieben stand. Er war gespannt, wie seine Praxis aussehen würde, und fand sie etwas spartanisch, aber angenehm. Es roch nach Sperrholz, Äthylalkohol und sonnenbeschienenem Blech. Hatch sah sich um und freute sich, daß Neidelman bei der medizinischen Ausrüstung nicht gespart, sondern stets nur das Beste gekauft hatte. Alles war vorhanden, von einem abschließbaren Lagerraum für Instrumente und Medikamente bis hin zu einem EKG-Gerät. Hatch fand die Ausrüstung schon fast ein wenig zu reichhaltig, denn neben Instrumenten wie einem Kolonoskop und einem Defibrillator gab es in den Schränken sogar einen mit allen Schikanen ausgestatteten Geigerzähler sowie eine Reihe von teuer aussehenden HighTech-Geräten, deren Verwendungszweck Hatch nicht kannte. Die Wellblechbaracke selbst war größer, als er von außen vermutet hatte. Es gab ein Warte- und ein Sprechzimmer sowie eine kleine Krankenstation mit zwei Betten. Am hinteren Ende der Baracke befand sich sogar ein Privatraum, in dem Hatch bei schlechtem Wetter auf der Insel übernachten konnte. Hatch verließ seine Praxis und ging hinüber zu Island One, wobei er aufpaßte, nicht in die tiefen Furchen zu treten, die von den für den Aufbau des Basislagers benötigten schweren Baumaschinen stammten. In der Kommandozentrale traf er auf Neidelman, Streeter und die Ingenieurin Sandra Magnusen, die vor einen Bildschirm saß. In dem bläulichen Licht des Monitors kam sie Hatch mit ihrer dicken Brille, in deren Gläsern sich Zahlen und Buchstaben spiegelten, wie ein kleines zähes Insekt vor. Bisher hatte er sie nie anders als zugeknöpft erlebt und war immer mehr zu dem Schluß gekommen, daß sie die meisten Menschen wohl nicht sonderlich mochte Ärzte mit eingeschlossen.
Neidelman nickte Hatch zu. »Die Datenübertragung von Scylla auf Charybdis ist seit mehreren Stunden beendet«, sagte er. »Jetzt haben wir soeben die Pumpensimulation abgeschlossen.« Mit diesen Worten trat er einen Schritt beiseite, damit Hatch freien Blick auf den Monitor hatte.
SIMULATION BEENDET UM 06:39:45:21
ERGEBNISSE FOLGEN
DIAGNOSE
STATUS INTERLINK SERVER OK
AUB RELAYS OK
SECTOR RELAYS OK
DATENFLUSSANALYSE OK
CONTROLLER BASISEINHEIT OK
CONTROLLER AUSSENSTELLEN OK
PUMPENSTATUS OK
DURCHFLUSS-SENSOREN OK
NOTABSCHALTUNG OK
QUEUE SPEICHER 305385295 VERZOEGERUNG DER
DATENUEBERTRAGUNG 0.000045
CHECKSUMEN-UEBERPRUEFUNG
CHECKSUMMEN VON AUSSENSTELLEN OK
CHECKSUMME ABWEICHUNG 00,00000 %
ABWEICHUNG VON SCYLLA 00.1500 %
ABWEICHUNG VON FRUEHEREN TESTS 00,37500 %
RESULTATE ENDGUELTIG
SIMULATION ERFOLGREICH BEENDET
Magnusen runzelte die Stirn.
»Ist etwas nicht in Ordnung?« wollte Neidelman wissen.
»Doch, schon«, antwortete die Ingenieurin und seufzte. »Oder vielleicht auch nicht. Ich weiß nicht so recht. Der Computer kommt mir heute irgendwie komisch vor.«
»Inwiefern?« fragte Neidelman ruhig.
»Nun ja, er schien mir bei den Tests für die Notabschaltung ein wenig zu langsam zu laufen. Und sehen Sie sich einmal die Prozentzahlen für die Abweichungen an. Beim Netzwerk auf der Insel selbst scheint alles in Ordnung zu sein, aber gegenüber der Simulation, die wir mit dem System auf der ›Cerberus‹ gemacht haben, gab es schon ziemliche Unterschiede, die allerdings noch nicht so hoch sind wie die gegenüber unserem ersten Testlauf gestern abend.«
»Aber diese Abweichungen liegen doch noch innerhalb der Toleranzen, oder?«
Magnusen nickte. »Vielleicht handelt es sich ja bloß um eine Anomalie im Abarbeiten der Algorithmen.«
»Was eine höfliche Umschreibung für einen Programmfehler ist.« Neidelman wandte sich an Streeter. »Wo ist Wopner?«
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