Riskante Liebe
kommende Wirbelsturm gepackt und direkt über der Bucht von San Francisco wieder ausgespuckt. Er starrte ungläubig auf die in der Sonne glitzernde Wasseroberfläche, den wolkenlosen, blauen Himmel und die Autokolonnen auf den Fahrspuren der Golden Gate Bridge unter ihm. In diesem Augenblick knisterte sein Funkgerät und die blechern klingende Stimme des Aufnahmeleiters erklärte ihm, sie hätten die Szene perfekt im Kasten und er könne umkehren.
Nach seiner punktgenauen Landung am Drehort verbrachte er den Rest des Tages wie hinter einer dichten Nebelwand. Nach außen hin benahm sich ein Teil seiner Persönlichkeit völlig normal, scherzte mit den Kollegen, dem Regisseur und den Kameramännern, schäkerte mit den wartenden Fans, ließ sich am Abend mit der Limousine nach Carmel ins Haus seiner Eltern chauffieren und schaufelte das von seiner Mutter liebevoll zubereitete Irish Stew in sich hinein. Sie hätte ihm allerdings genauso gut gekochtes Katzenfutter vorsetzen können und er hätte keinen Unterschied festgestellt.
Aus dem einfachen Grund, dass der weitaus größere Teil von ihm immer noch in seinen lebhaften Erinnerungen gefangen war, um Veeria, seine Waldfee, trauerte und es gleichzeitig nicht fassen konnte, in keiner Weise vermisst worden zu sein, da die Zeit während seiner vermeintlich tagelangen Abwesenheit in San Francisco offenbar stehengeblieben war … Nachts, in seinem ehemaligen Kinderzimmer, war er dann, allein und verwirrt auf der Bettkante sitzend, wie elektrisiert hochgefahren und hatte sich beinahe gewaltsam seine Jeans heruntergerissen, um nach dem roten Strich seiner verheilten Beinwunde, dem Beweis dafür, dass er nicht geträumt hatte, zu sehen.
Gleich darauf war ihm endgültig klar geworden, dass er sich alles nur eingebildet hatte. Im grellen Licht der Deckenlampe erblickte er auf seinen Beinen durch die feinen Härchen hindurch nur unversehrte goldbraune Haut. Und erst da realisierte er, dass sein T-Shirt, seine Hose und die Schuhe genauso makellos sauber waren wie zu dem Zeitpunkt, als er sie in seinem Wohnwagen – vor dem Dreh – angezogen hatte. Was bei ihm zu der niederschmetternden Erkenntnis führte, dass er nie eine Notlandung in diesem Wald machen musste und alles, einschließlich Veeria, lediglich ein Trugbild, eine Ausgeburt seiner überschießenden Fantasie darstellte.
Vielleicht sollte er einen Seelenklempner aufsuchen. Für den wären seine absurden Träume bestimmt ein gefundenes Fressen, in die der Doc dann, vom verfrühten Sitzen auf dem Töpfchen, daraus resultierenden Bindungsphobien, übersteigertem Gewissenskonflikt bis hin zu einem gestörten Verhältnis zum anderen Geschlecht, nach Herzenslust alles hinein interpretieren konnte. Auch für die unerklärliche Tatsache, dass er, Drake, seine vermeintliche Traumfrau in jeder körperlichen Einzelheit vor Augen hatte und sich danach sehnte, seine Finger noch einmal durch ihre weiche, seidige Haarmähne gleiten zu lassen, ihr unvergleichlich erotisches Auflachen, wenn er sie neckte, hören wollte, sich nach ihrem zarten weiblichen Duft verzehrte und allein bei den Gedanken an sie – so wie in diesem Moment – seine erektile Dysfunktion mühelos überwand, würde ein Psycho-Doc sicher eine plausible Erklärung finden.
Wütend schleuderte er den Nassrasierer ins Waschbecken. Natürlich würde er niemandem davon erzählen, schon gar nicht einem dieser sich immer verständnisvoll gebenden Glatzköpfe, auf deren Couches sich fast alle, die in der Filmbranche Rang und Namen trugen, verbal auskotzten. Zum Dank dafür, dass der liebe Onkel Doktor ein paar überflüssige Fragen stellte und vorgab, eifrig mitzuschreiben, ließen sie dann einen erklecklichen Teil ihrer Gagen bei ihm liegen und posaunten überall herum, sie wären in „Therapie“.
Alles Humbug! Wobei die sich von ihm selbst verordnete „Therapie“, Alkohol und Sex, bisher auch nichts gebracht hatte. Wahrscheinlich war er nur überarbeitet. Sein finsteres Gesicht hellte sich auf. Natürlich! Das war ’s! Er hatte in den letzten drei Jahren fünf Kassenschlager hintereinander abgedreht, beinahe ohne Pausen dazwischen. Vielleicht sollte er einfach einen Tapetenwechsel ins Auge fassen? Eventuell Mexiko oder Hawaii? Hitze, Strand, Meer, schöne Frauen und Tequila würden ihn wieder ins Lot bringen. Er ging in sein Büro, um Abe anzurufen. Sein Agent wäre mit Sicherheit nicht begeistert davon, wenn er ihn anwies, im kommenden Halbjahr keine Rollen für
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