Riskante Liebe
Shannon angeblich nie die bunten Klatschmagazine las, war sie immer bestens über sein Privatleben informiert gewesen, selbst wenn er ihr nichts erzählte. Zweifellos würde sie den heutigen Abend gnadenlos dazu benutzen, ihm gehörig den Kopf zu waschen. Vor allem auch, weil er ihre bisherigen Anrufe immer auf seine Sprachbox umgeleitet und nie beantwortet hatte.
Angewidert betrachtete er seine blutunterlaufenen Augen und sein stoppeliges, unrasierte s Gesicht im grellen Kunstlicht seines Spiegelschranks über dem Waschbecken und schnitt sich selbst eine Grimasse. In einem seiner seltenen ehrlichen Momente gestand er sich ein, trotz seines lockeren Lebenswandels nicht besonders vergnügt und glücklich auszusehen. Ganz im Gegenteil, noch nie hatte er sich so beschissen und durch den Wind gefühlt wie in letzter Zeit … Genauer gesagt, seit den letzten sechs Wochen. Er konnte den Zeitpunkt, an dem sein inneres Unbehagen und seine Unruhe eingesetzt hatten, sogar sehr genau eingrenzen:
Es war der Tag gewesen, an dem er die Hubschrauberszene über der Golden Gate abgedreht hatte. Der Tag, an welchem er genau über der Brücke in eine Art Sekundenschlaf fiel und diesen seltsamen Traum geträumt hatte. Obwohl dieser ihm auch jetzt, im Nachhinein, so real und lang erschien, dass er sich manchmal fragte, ob in seinem Oberstübchen irgendetwas nicht stimmte. Konnte es sein, dass er an einer Art Schizophrenie litt, Stimmen hörte und Dinge erlebte, die ihm nur seine lebhafte Fantasie vorgegaukelt hatte? Normalerweise erinnerte man sich an Träume doch eher verschwommen, oder?
Aber er konnte sich jede Einzelheit seines fiktiven Aufenthalts in diesem Wald, vor allem aber die wunderbaren Erlebnisse mit seiner Waldfee, haarklein ins Bewusstsein rufen. Der Traum hatte damit begonnen, dass er, mitten im Helikopter-Anflug auf die Brücke, von einer Art Wirbelsturm erfasst und über ein riesiges Waldgebiet getragen wurde. Er musste eine Notlandung hinlegen, wurde verletzt und lag ohnmächtig in der Wildnis, bis ihn ein Mädchen, die kleidungs- und frisurentechnisch in etwa den durchaus anregenden Style von Tarzans Jane besaß, fand und ihn mit sehr unkonventionellen Methoden verarztet hatte. Sie brachte ihn in eine steinzeitähnlich eingerichtete Höhle, wo sie einige Tage zusammenlebten. Er hatte sich unsterblich in sie verliebt. So sehr, dass er sie bat, mit ihm nach San Francisco zurückzufliegen.
Während er die Rasierklinge über sein eingeschäumtes Gesicht zog, lachte er sich selbst zum wiederhol ten Mal aus. Allein der Umstand, dass er zu einer völlig unerfahrenen Mädchenfrau, die ihm offen und arglos ihre rührende Zuneigung zeigte, „Ich liebe dich“ sagte, sie entjungfert hatte und sie bat, mit ihm zurückzufliegen, war so absurd, dass es nur ein Traum oder ein Trugbild seines Gehirns gewesen sein konnte.
Jungfrauen war nie sein Ding gewesen. Er bevorzugte erfahrene, unkomplizierte Frauen, die nicht klammerten und für die er keinerlei Verantwortung übernehmen oder Verpflichtungen eingehen musste.
G enauso abgefahren war die weitere Handlung dieses Traums gewesen: Das Mädchen stammte aus einer vorsintflutlichen Siedlung, die von Frauen beherrscht wurde. Männer wurden dort als reine Arbeitssklaven gehalten … Es lebe die Emanzipation!
Und dann kam die Krönung: Seine Traumfrau hatte ihn im letzten Moment buchstäblich in die Wüste geschickt, mit dem Argument, nicht genug für ihn zu empfinden, um mit ihm zusammen ihre Heimat verlassen zu können. Der Schock darüber, die Trauer und die darauf einsetzende Leere, die er empfand, als sie unvermittelt aus der laufenden Maschine sprang und vor ihm davonlief, steckte ihm heute noch in den Knochen. Geschah ihm aber ganz recht. Auch er beendete sämtliche Beziehungen, in denen eine Frau von ihm mehr als nur Spaß und Sex wollte, mit der sinnigen Behauptung, nicht genug Gefühle für sie zu empfinden, um noch länger mit ihr zusammen sein zu können ...
D ie in ihm widerstreitenden Empfindungen, Ungläubigkeit, Schmerz, Zorn und schlagartig einsetzende Übelkeit, hatten ihn sekundenlang gelähmt, bis er entschlossen den Hubschrauber nach oben steigen ließ. Nachdem sie vor ihm davongelaufen und außer Sicht gewesen war, hatte er nur noch eines im Sinn gehabt: Er wollte endlich nach Hause, wo sicher schon alle außer sich vor Sorge um ihn waren. Nur fort aus dieser Gegend und weg von ihr …
Wenige Minuten nach dem Start hatte ihn erneut dieser aus dem Nichts
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